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Egersdörfer: In der wohligen Brandung des Wahnsinns
Am Samstag erhält Matthias Egersdörfer den deutschen Kabarettpreis
Vor Kurzem bekam der Egersdörfer, mit dem ich – es schickt sich, das vorauszuschicken – befreundet bin und zwei Bücher geschrieben habe, den Wolfram-von-Eschenbach-Preis, eine renommierte Auszeichnung, die u. a. bereits Karlheinz Deschner und Fitzgerald Kusz erhalten hatten.
Aus diesem Anlass ließen die »Nürnberger Nachrichten«, dieses Pestblatt, einen Mitarbeiter des Feuilletons schon überschriftlich halluzinieren, Matthias Egersdörfer sei ein »Kabarettistisches Urgestein« (mit zwei Wörtern zwei Fehler machen, das muss man können), und dann die bemitleidenswerten Mengentextzeilen nach Strich und Faden schänden, beispielsweise so: »Hier präsentiert er sich als grantelnden [sic!], laut polternden [sic!] Franken [sic!], der sich mit hintersinnigem, schwarzem Humor und cholerischen Anwandlungen den Herausforderungen der Welt stellt« – wahrscheinlich obendrein vermöge seiner »fast schon sensiblen, melancholischen Seite«, mit der er fast schon eigene Erfahrungen »durchaus verallgemeinert«, was im Kosmos der Kunst kein seltenes Malheur sein soll.
Die Conclusio des Herrn von der Zeitung brachte mich homerisch zum Lachen, und ich rief den Egersdörfer an und sagte prustend, er könne jetzt einpacken, er sei erledigt. Und ich zitierte: »Durch seine Tiefgründigkeit und Vielseitigkeit ist er für das fränkische Kulturleben eine wahre Bereicherung.« Nicht bloß eine Bereicherung, sondern sogar eine, die keine falsche sei – eine üblere Beleidigung dürfte schwer zu finden sein, die Staatsanwaltschaft Bamberg möge sich des Falles annehmen.
Ein »fränkisches Kulturleben« existiert übrigens nicht. Einige wenige begnadete »Einzelindividuen« (Polt) strecken in dieser Gegend die Köpfe aus dem Morast von Stumpfsinn, Antiintellektualismus und Zelotismus, und dafür kriegen sie in der Regel einen übergebraten, und fortan verkriechen sie sich in der Schweigsamkeit.
In einem Gespräch mit dem SWR hat Matthias Egersdörfer bekannt, seine große Kunst, die er, bescheiden, wie er ist, nie als solche bezeichnen würde, sei aus »tiefer Not« geboren. In seinen Bühnenmonologen, in denen er der folgerichtigen Verknüpfung des nicht Folgerichtigen frönt, in diesen mimisch und sprachmusikalisch vollendet modellierten Trips der Wirrnis, der Verzweiflung, der Trauer, des Grauens (ab und an: der Wut), entkleidet er die sogenannte Realität und stellt sie als Geisterreich vor dich hin. Hinter den surrealen, bisweilen liebevoll behauchten Wortgebirgen steht eine weiße oder eine schwarze Wand, die der (unbekannte) Maler Egersdörfer nie zeigen wird. Er, diese wahre Belastung des fränkischen Kulturlebens, spricht über die Vergänglichkeit und keiner schnallt’s (der Zeitungsredakteur naturgemäß sowieso nicht).
»Ich möcht’ den Leuten nicht erklär’n, was rechts und links is’ und was der rechte Glaube is’«, sagte Matthias Egersdörfer im SWR. »Des find’ ich ziemlich schrecklich. […] Ich möchte niemandem sagen, wo’s langgeht« – ein typischer Kabarettist halt, der, wie er in einem gelungenen Feature des Deutschlandfunks aus dem Jahr 2016 kundtut, ungern »vergröbert und verblödet«, gleich einem Böhmi und einer Bosetti und diesem Anstalts-Geschwörl mit seinem kurrenten »Arschgewaaf« (Egersdörfer), das das deutsche Fernsehleben wahrlich bereichert. Komik wäre indessen, mit Odo Marquard zu reden, Ausweis einer »Inkompetenzkompensationskompetenz«, die einen in die nächste dunkle Ecke manövriert. »Sackgassen sind ganz wichtig«, brummt Egersdörfer im DLF.
Aus dem Keller der ewigen Zumutung namens Herrschaft führt allein die Phantasie heraus. Eine diesbezüglich maßstabsetzende Erzählung hat Egersdörfer in einer BR-Fernsehsendung vorgetragen. »Die Espressotasse« heißt sie, und wer sich die auf Youtube nicht anschaut, gehört der Katz’.
Wir haben keine Ahnung, können das aber ausdrücken und, bestenfalls, -schmücken. Demut vor dem undurchdringlichen Dasein durchwebt noch die albernste und derbste Videosequenz, die Egersdörfer mit seinen Schauspielerfreunden Claudia Schulz und Andy Maurice Mueller in einem Schrebergarten improvisiert (zu sehen auf egers.de). So hätten Ionesco und Cioran geschrieben, wären sie lustig gewesen – oder geredet wie der Egersdörfer in den während des Corona-Terrors ins Smartphone gegrummelten »Nachrichten aus dem Hinterhaus«.
Neulich gastierte Matthias Egersdörfer mit seiner Boyband Fast zu Fürth im »Weißen Roß« in Immeldorf. Die Wirtschaft in einem Fachwerkhaus aus dem 18. Jahrhundert genießt, seit sie Walter Hertle 1978 eröffnet hat, einen enormen Ruf als irgendwie standhaft linkes Späthippierumpeletablissement – beargwöhnt von den Dumpffranken, gepriesen von den Devianten. Niedrige Decken, schummriges Licht, Holzvertäfelungen, Aufkleber, Sticker, Poster, Schilder, Instrumente, Krüge – hier spielten einst die Krautrocker Jane (die mit dem furchtbaren Gesang, dem schlimmen Gitarrensound, den flachen Riffs, den höllischen Arrangements, und die Platte »Jane At Home – Live« besaß jeder) und die musikalisch hochstehende, psychedelische, jazzaffine Experimentalanarchokapelle Guru Guru aus dem Odenwald.
Da also boten Egersdörfer, Lothar Gröschel und Tilo Heider das epische Meditationsrezitativ »La Meer« dar, krumme Gstanzln, Volkslieder zwischen NDW und Atonalität oder in keltisch-balkanesischer Schrammeleinfärbung, sentimentalen Avantgardenonsens nah an dadaistischem Artrock. Die Disparität, der Widerspruch ist der Quell der Komik. Auf einen innig besungenen Kuss folgt der Reim: »Mach doch bitte endlich Schluß!«
»Fast zu Fürth verkörpert hysterisches Phlegma«, heißt es in einer Selbstdarstellung sehr richtig. Preisen möchte ich nicht nur die hitträchtigen Songs »Sag, was du magst«, »Wenn es regnet« und »Stalingrad« (auf die Melodie von »Jingle Bells«) sowie die geniale Nichtigkeitseskalation »Haus auf Sand«, sondern zumal das ontologische Exerzitium »Fliege«, das in eine kontradiktorische, gottesdienstähnliche Sing-along-Passage à la »Life Is Life« mündet: »Die Existenz in Trümmern – nanaanaanana!«
Die Geschichte der Entstehung von Fast zu Fürth und der Gründung und des Betriebs des Kulturvereins Winterstein in der Fränkischen Schweiz erzählt Egersdörfers und Gröschels 2023 erschienenes, herrlich altmodisches Wunderbuch »Das Lachen des Grünspechts – Eine höchst abenteuerliche Geschichte über Freundschaft, Kunst und Wahnsinn in der fränkischen Provinz«. Es ist schier unmöglich, das Trumm adäquat zu besprechen. Ein Jean Paulsches Gestrüpp aus Abschnitten in einem artifiziellen Märchenton, rabaukenden, überbordenden Wortspielen, »fabelhaft wirrem Zeug«, berstender Plastizität, rauschhaft opulenter Metaphorik, Allusionen und Allotria umrankt des Lesers Haupt, und vielleicht wäre für diesen zum Niederknien beschwingten (Bildungs-)Roman über das Treiben von vier Kunsthallodris und »Allzeitdilettanten«, die sich 1993 »in rücksichtsloser Freude« einen Bauernhof unter den Nagel gerissen hatten, das Oxymoron »protestantischer Barock« angemessen.
»Das Lachen des Grünspechts« ist eine Hommage an die Heimat, eine dionysisch-lukullische Feier gewisser Traditionen (Brot-, Wurst-, Bier-, Schnapsverzehr) und eine wehmütige Erinnerung an die Neunzigerjahre, an diese grandios freie Zeit, in der das Gefühl der Geborgenheit Hand in Hand ging mit dem Willen zum »Unbedarften und Naiven oder Hirnverbrannten und Bedenkenlosen«, wie Egersdörfer im BR-Fernsehen darlegt.
Tatsächliche Kunst gedeiht im Hinterland, im gemütlichen Chaos, in der Weite der Beschränkung. In der Kommune Winterstein, in diesem Saustall, in dieser »Mühle des fröhlichen Irrsinns«, in dieser Wahlverwandtschafts-WG, fanden Ausstellungen, Happenings und rund um die Uhr »Drolligkeiten« statt, es lasen H. C. Artmann, Henscheid und Max Blaeulich. Es ward gesoffen, gemauselt, gefressen (»Stadtwurst- und Preßsackmassaker«), und im Zentrum der geselligen Gemächlichkeitsekstasen stand der Moll Philipp, der 2016 verstorbene Universalist, Menschenfreund und Hedonist, der der evangelischen Lustfeindlichkeit begegnete, indem er lehrte, »gute Wurst bewusst zu essen«, und die Aufgeblasen- und Verlogenheit der Kunstszene verspottete (siehe unbedingt den Dokumentarfilm »Der Moll von Lauf links – Nachruf auf einen ganz besonderen Menschen«, 2017, DVD zu beziehen über Medien Praxis).
»Das Lachen des Grünspechts«, diese Geschichte der Befreiung von den vielgestaltigen Demütigungen in der Jugend und der Erlangung von Autonomie, beginnt – und dazu gehört mehr als Mut – mit einer langen Schilderung des Aufenthalts von Matthias Egersdörfer in der Geschlossenen, und es erklimmt seinen Gipfel in einem wahnwitzigen Kapitel über ein theologisches Symposium in der Hausküche, das Egersdörfer und Gröschel, »man glaubt es nicht« (Heino Jaeger), gemeinsam verfasst haben. Seit Laurence Sterne habe ich so was nicht mehr gelesen.
Am 11. Januar kriegt der Egersdörfer in Nürnberg den Deutschen Kabarettpreis. Das geht inhaltlich vollauf in Ordnung. Allein, der Name der Ehrung ist eben erneut: falsch. Deutscher Totalkunst-Preis haute halbwegs hin.
Matthias Egersdörfer / Lothar Gröschel: Das Lachen des Grünspechts: Eine höchst abenteuerliche Geschichte über Freundschaft, Kunst und Wahnsinn in der fränkischen Provinz. Starfruit, 248 S., geb., 26 €.
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