»Sexismus? Haben wir denn keine anderen Probleme?«

Natürlich. Aber was soll das für ein Argument sein? Entgegnungen für gängige Mythen und abwehrende Behauptungen - Teil IX

  • Anna Schiff
  • Lesedauer: 4 Min.

»Das ist doch kein Sexismus, das ist doch ein Kompliment …« Wer Sexismus zum Thema macht, hört nicht selten solche Sätze. Eine nd-Serie in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung will den Blick dafür schärfen, dass Sexismus ein strukturelles Problem unserer Gesellschaft ist. Wer Sexismus thematisiert, stellt immer auch die Frage nach der Macht, nach ihrer ungleichen Verteilung und nach den Strategien, mit denen diese Verhältnis­se aufrechterhalten werden. Es geht um Argumente gegen gängige Mythen und abwehrende Behauptungen, mit denen Kritik an Sexismus zum Schweigen gebracht werden soll.

»Das kommt auch erst einmal darauf an, wie man Problem definiert. Wenn wir ein Sexismusproblem haben, dann haben wir auch ganz viele andere Probleme.«
Heiner Lauterbach, Schauspieler, April 2013

»Ja haben wir denn keine anderen Sorgen?«
Frank Plasberg, Moderator, April 2015

Was ist dran?

Natürlich sind wir auch mit einer Reihe weiterer Missstände konfrontiert: prekäre Arbeitsverhältnisse, Menschen ohne Krankenversicherung, Rassismus gegen Flüchtlinge und so weiter und so fort. Alle diese Probleme sind dringend und alle müssen angegangen werden.

Und sie alle hängen mehr oder weniger direkt mit Geschlechterrollen zusammen: Von prekären Arbeitsverhältnissen sind vor allem Frauen betroffen und genau hier kann der Kampf gegen Prekarität ansetzen. Oder wie das Kölner Beispiel zeigt: Sexismus zu bekämpfen heißt, konsequent gegen falsche Täter- und Opferbilder vorzugehen und Rassismus entgegenzutreten. Die Forderungen, langfristig über Sexismus zu sprechen und Wege zu finden, ihn abzubauen, heißt nicht, dass damit andere Themen irrelevant werden und vernachlässigt werden können. Im Gegenteil.

Manchmal wird die Befürchtung geäußert, ein vermehrtes Sprechen über ein Problem stelle dieses erst her. Das Problem werde – im wahrsten Sinne des Wortes – »herbeigeredet«, aus dem Nichts sozusagen. Dieser Eindruck mag dadurch entstehen, dass es von Zeit zu Zeit immer wieder sehr hitzige Debatten über Sexismus gibt, und dann ist von dem Thema nichts mehr zu hören. Aber nur weil Mainstream-Medien nicht über ein Problem berichten, heißt das nicht, dass es nicht existiert. Deshalb ist eine unabhängige linke und feministische Presse so wichtig, denn dort wird sich kontinuierlich mit Sexismus auseinandergesetzt.

Gern wird auch auf andere Länder verwiesen, Indien zum Beispiel, wo es die Frauen in vielerlei Hinsicht viel schwerer haben als in Deutschland. Das ist richtig und soll auch überhaupt nicht in Abrede gestellt werden. Ebensowenig wie in Abrede gestellt wird, dass Akademikerinnen vor anderen Herausforderungen stehen als weibliche Reinigungskräfte. Doch nützt es indischen Frauen wenig, wenn in Deutschland nicht über Sexismus gesprochen wird. Ihre Situation ändert sich dadurch nicht. Ihre Situation verändert sich aber sehr wohl durch die starke indische Frauenbewegung, die häufig leider viel zu wenig Beachtung in den hiesigen Medien findet.

Statt die Lebenssituation indischer Frauen als Argument gegen antisexistische Bestrebungen in Deutschland heranzuziehen, kann die indische Frauenbewegung auch als ein positives Beispiel für die Kraft und Notwendigkeit sozialer Bewegungen gesehen werden.

Sexismus ist kein Luxus-Problem, das wir uns erlauben können, sondern eine diskriminierende Grundstruktur unserer Gesellschaft, der wir uns stellen müssen, um eine gerechtere und solidarische Gesellschaft zu schaffen. Das wäre eine Welt, in der wir alle freier leben könnten, weil uns hierarchische Geschlechterrollen nicht mehr einschränken. Eine Welt, in der nicht das angeborene Geschlecht über Zugangschancen zu Macht und Einfluss bestimmt und in der es keine besser bezahlten Männer- und schlecht bezahlten Frauenjobs gibt – sondern einfach nur Arbeit. Eine Welt, in der Sorgearbeit nicht mehr hauptsächlich von Frauen erledigt wird. Eine Welt, in der Menschen keine Gewalt widerfährt, nur weil sie nicht auf den ersten Blick ein Mann oder eine Frau sind. Eine Welt, in der Jungs und Männern nicht ihre Gefühle abgesprochen werden und Mädchen und Frauen mehr sein dürfen als »emotional«. Eine Welt, in der Opfern von sexualisierter Gewalt keine Schuld gegeben wird. Es wäre eine Welt, in der wir Menschen sein könnten und an zweiter Stelle ein Geschlecht. Sexismus abzuschaffen ist ein Befreiungsprojekt für uns alle.

Die Broschüre, auf der diese Reihe basiert, ist gerade als »luxemburg argumente« von der Rosa-Luxemburg-Stiftung herausgegeben worden. Die Autorin ist Anna Schiff. Ein Interview mit ihr gibt es hier zum Nachhören. Die llustrationen stammen von Marie Geissler.

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