Unser Fjord friert nicht mehr zu

Die Physikerin Verena Mohaupt im Gespräch über Klimaforschung in der Arktis

  • Susanne Götze
  • Lesedauer: 3 Min.

Frau Mohaupt, Sie haben so ziemlich den nördlichsten Arbeitsplatz der Welt: Wie ist es, seinen Schreibtisch fast am Nordpol zu haben?
Großartig. Es ist ein Privileg, hier arbeiten und leben zu dürfen. Deshalb habe ich auch gerade um zwei Jahre verlängert. Die Landschaft ist unglaublich schön. Die Station liegt an einem Fjord. Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich Bergketten, Gletscher und die Tundra. Manchmal ziehen Eisberge vorbei. Dort drüben taucht gerade ein Wal auf.

Ist es nicht manchmal ganz schön einsam?
Es gibt ein paar Touristen, die vorbeikommen - zum Beispiel von Kreuzfahrtschiffen. Die laufen einmal durch unser Dorf und gehen dann wieder. Wir leben hier in einem internationalen Forscherdorf. Wissenschaftler aus der ganzen Welt haben hier ihre Messstationen und alle leben miteinander. Das ist etwas ganz Besonderes.

79 Grad Nord

»79 Grad Nord« – so heißt der Blog der Arktisforscher des Alfred-Wegener-Institutes für Polar- und Meeresforschung (AWI). Was darauf hindeutet, dass sie ihre Forschungsstation in der nördlichsten Siedlung der Welt betreiben. Ny-Ålesund auf Spitzbergen östlich von Grönland beherbergt das »größte Labor der modernen Arktis-Forschung«.

Elf Länder, darunter auch Frankreich, Norwegen, Italien, China und Großbritannien, betreiben hier Stationen und Forschungslabore. Im Sommer arbeiten im Ort bis zu 180 Menschen, im Winter bei Temperaturen bis minus 30 Grad Celsius sind es rund 30.

Die AWI-Forscher errichteten am 10. August 1991 ihre Station »Koldewey«, die ganzjährig betrieben wird. Im Jahr 2003 schloss man sich mit der französischen Forschungsbasis des Instituts Paul Emile Victor (IPEV) zusammen, seither heißt die Station AWIPEV.

Hauptgebiet ist die Erforschung des Klimawandels, der nirgendwo schneller greifbar ist. Und er hat in der ökologisch sensiblen Arktisregion besonders starke Folgen: Die Forscher haben in den letzten 20 Jahren eine Erwärmung von zwei Grad Celsius gemessen. Global liegt sie bei rund einem Grad gegenüber vorindustrieller Zeit.
Klimaforschung ist indes ein höchst komplexes und detailreiches Wissenschaftsfeld. Die AWI-Forscher messen Temperaturen und Luftfeuchtigkeit, observieren das Ökosystem des Fjords sowie die Gletscher, um zu ermitteln, warum diese schmelzen. Man hat herausgefunden, dass dies nicht nur an den höheren Temperaturen, sondern auch am verstärkten Regen liegt.

Den Forschern stehen Labors für physikalische, biologische und chemische Untersuchungen zur Verfügung. Ein Herzstück der AWI-Forschung in Ny-Ålesund ist ein Observatorium zur Beobachtung der Atmosphäre vom Boden bis in die Stratosphäre. Die Klimaforscher beobachten so die klimatischen und atmosphärischen Veränderungen in den Polarregionen.

Biologen untersuchen auf Spitzbergen wiederum, wie die erhöhte UV-Strahlung auf die Meeresbewohner der Fjorde wirkt und wie die Organismen auf die zunehmende Ozeanversauerung als weitere Folge des Klimawandels reagieren.

Forschungsschwerpunkte der Geowissenschaftler wiederum sind neben der Veränderung von Gletschersystemen auch das Auftauen der Permafrostböden, das riesige Mengen an Treibhausgasen freizusetzen droht. nd

Wie sieht Ihr Arbeitstag aus?
Was unserem Alltag eine Struktur gibt, ist das Essen. Alle Kollegen gehen gemeinsam zu einer Kantine. Heute war ich mit einem französischen Forscherteam mit dem Boot im Fjord unterwegs, um Messungen vorzunehmen. Gekümmert werden muss sich auch um Wetterballons und die stationären Messgeräte.

Mit welchen Messgeräten haben Sie normalerweise zu tun?
Wir haben über 50 Projekte, darunter permanente Observatorien. In unserem Atmosphären-Observatorium wird gemessen, wie sich die Atmosphäre zusammensetzt und wie sich die Daten verändern. Stichwort: Aerosole, Spuren- und Treibhausgase. Wir arbeiten dafür mit einem Laser, der in den Himmel gestrahlt wird und dessen Rückstrahlung uns zeigt, wie hoch die Aerosol-Konzentration ist.

Wieso hat sich das Alfred-Wegener-Institut vor 25 Jahren für genau diesen Standort entschieden?
Spitzbergen liegt in der Arktis. Was hier passiert, ist wichtig für das Verständnis der gesamten Prozesse des globalen Klimas. Es gibt hier nicht viele geeignete Orte. Spitzbergen ist relativ gut erreichbar. Im Gegensatz zur Neumayer-Station in der Antarktis sind wir hier gut dran. Wichtig für die Messungen ist auch die Reinheit der Luft. Grillen zum Beispiel ist deshalb verboten. An bestimmte Messstationen dürfen wir nur mit Elektroautos ranfahren.

Welche Entdeckungen hat das In-stitut mit der Station gemacht?
Forschung ist ein kontinuierlicher Prozess. Manche Forscherteams bekommen größere Aufmerksamkeit als andere. Vor ein paar Jahren hat ein Team hier eine erhöhte Durchschnittstemperatur des Bodens gemessen - das ging durch die Presse. Dieses Jahr waren unsere Ozonforscher ganz aufgeregt, weil die Temperaturen der oberen Atmosphäre außergewöhnlich kalt waren. Das ist wichtig für die Entwicklung der Ozonschicht.

Nehmen wir den Klimawandel: Welche Veränderungen haben die Forscher in den letzten Jahrzehnten beobachtet?
Fast alle Projekte hier haben mit dem Klimawandel zu tun. Forscher und Bewohner, die schon lange hier sind, berichten uns von Veränderungen. Seit rund zehn Jahren friert das See-Eis in unserem Fjord nicht mehr zu. Früher war das ganz normal, dass im Winter eine dicke Eisschicht den Fjordsee bedeckt. Wir hoffen jedes Jahr, dass das noch einmal passiert - bisher vergeblich. Auch die Gletscher ziehen sich zurück. Man sieht in den Bergen noch die Markierungen, bis wohin die Gletscherzungen früher gereicht haben - das ist schon komisch. Auch alte Bilder zeigen, dass die Landschaft sich stark verändert hat.

Angesichts der Klimaveränderungen werden Messstationen immer wichtiger. Welche Aufgaben kommen auf Ihre Station in den nächsten 25 Jahren zu?
Wir waren eine der ersten Stationen, die versucht haben, Klima- und Wetterdaten zu standardisieren. Heute messen mehrere Standorte weltweit dazu. Dafür braucht man Stationen, die möglichst die nächsten 50 bis 60 Jahre bestehen - und systematische Messungen mit einheitlichem Ablauf. Nur so können jahrzehntealte Daten mit neueren Messungen verglichen werden. In der Hinsicht sind wir eine besonders anspruchsvolle Station.

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