Czaja verpatzt Ausschreibungen für Flüchtlingsunterkünfte

Entgegen der Gesetzeslage werden Heime nicht wettbewerbsrechtlich vergeben, die Interimsbetreiber werden in Ungewissheit gelassen

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 4 Min.

Drei Jahre lang wurden Aufträge für Asylunterkünfte mit der Begründung nicht ausgeschrieben, dass neue Heime sofort in Betrieb gehen müssten, um Asylsuchende vor Obdachlosigkeit zu bewahren. Da sei für Ausschreibungen keine Zeit, hieß es. Doch das Gesetz schreibt Ausschreibungen zwingend vor. Nach Vorwürfen aus unterschiedlichen Richtungen erklärte Sozialsenator Mario Czaja (CDU), Aufträge für Asylunterkünfte künftig ausschreiben zu wollen. Doch bisher ist das nicht geschehen.

Politikerinnen von Grünen und Linkspartei fordern nun von Sozialsenator Mario Czaja (CDU), Aufträge für den Betrieb von Asylunterkünften sofort auszuschreiben. »Es ist ein Skandal, dass das trotz anderslautender Erklärungen von Czaja noch nicht geschehen ist«, sagt die Linkspartei-Abgeordnete Elke Breitenbach dem »nd«. Die Grünen-Abgeordnete Canan Bayram sagt: »Mario Czaja hat seine Verwaltung nicht in Griff. Die schreibt nicht aus, obwohl er das fordert.«

Nach Vorwürfen über Vetternwirtschaft und zu hohe Kosten für unrentable Immobilien haben auch der Landesrechnungshof, die interne Revision der Behörde, externe Wirtschaftsprüfer und nicht zuletzt alle drei Oppositionsfraktionen im Abgeordnetenhaus Ausschreibungen gefordert.

Czaja schien zuletzt eingelenkt zu haben. Zwischen Januar und Juli erklärten er und sein Staatssekretär Dirk Gerstle (CDU) mehrmals vor dem Parlament, Aufträge für Asylunterkünfte künftig auszuschreiben. Sofern eine Unterkunft nicht nur eine Notunterkunft ist, antwortete die Senatsverwaltung beispielsweise zu Beginn des Jahres auf eine Schriftliche Anfrage der Grünen, »wird diese Form des Betriebes ausgeschrieben«. Doch geschehen ist bis heute fast nichts. Lediglich acht Ausschreibungen hat es in diesem Jahr gegeben, räumt Regina Kneiding, Sprecherin von Czaja, auf eine »nd«-Anfrage ein. Dabei handelt es sich ausschließlich um neue Objekte. Doch sieben dieser acht Ausschreibungen mussten gestoppt werden, weil Bieter Nachprüfanträge gestellt haben. Das heißt, bis die Vergabekammer und eventuell ein Gericht über diese Anträge entscheidet, ruht die Ausschreibung. Das kann Monate oder auch Jahre dauern. Und damit die neuen Unterkünfte nicht so lange leer stehen und Flüchtlinge stattdessen in Turnhallen wohnen müssen, werden diese Unterkünfte so lange an Interimsbetreiber vergeben. »Diese provisorischen Betreiber werden ohne Wettbewerb gefunden«, sagt Kneiding. Also alles wie bisher.

Noch gar nicht ausgeschrieben wurden bislang Unterkünfte, die bereits in Betrieb sind. Diese wurden immer nur für eine bestimmte Laufzeit an einen Betreiber vergeben. Ist diese abgelaufen, muss ebenfalls neu ausgeschrieben werden. So sieht es das Gesetz vor und so hat der Senat es versprochen, um Transparenz in die Vergabe von Aufträgen zu bringen. Warum bekommen sie das dann nicht umgesetzt? Das Argument, dass dann Flüchtlinge wegen der Ausschreibung keine Unterkunft hätten, gilt hier nicht. »Vergaberecht ist in der Tat etwas, was eine Verwaltung nicht nebenher erledigen kann. Czaja sollte ein externes Anwaltsbüro damit beauftragen«, sagt Bayram. Bisher ist nur die - ohnehin überforderte - Verwaltung damit befasst.

Die Nichtausschreibungen haben zur Folge, dass Unterkünfte seit Monaten ohne Vertrag laufen, und die Betreiber darum keine notwendigen Investitionen leisten können.

Im Waldschluchtpfad in Spandau und in der Späthstraße in Neukölln beispielsweise sind die Verträge Ende letzten Jahres ausgelaufen. Das zumindest hatte Czaja auf parlamentarische Anfragen hin erklärt. »Für uns ist das schwierig, weil wir unser Personal nicht planen können«, erklärt Manfred Nowak von der Arbeiterwohlfahrt, dem Betreiber des Heimes im Waldschluchtpfad. Auch an ein Wachschutzunternehmen, an Catering- und Wäschereifirmen ist die AWO ihrerseits vertraglich gebunden. Denn der Betrieb muss trotz der vagen Situation weiter gehen.

»Schwierig ist die Situation auch für unser Heim in der Lichtenberger Rhinstraße«, sagt Nowak. Dort läuft der Vertrag im Januar 2017 aus. Der Hauseigentümer dränge auf eine Entscheidung, ob die AWO diesen verlängern will. »Wir können weder den Mietvertrag kündigen noch ihn verlängern, solange uns das Landesamt hängen lässt«, so Nowak. »Wir haben das Landesamt für Flüchtlingsfragen (LAF) mehrfach darauf hingewiesen, dass hier Handlungsbedarf besteht. Aber nichts geschieht.« Somit ist ein Vorzeigeheim von Schließung bedroht.

Doch auch da, wo ausgeschrieben wird, hagelt es Kritik. So hat die Liga der freien Wohlfahrtsverbände darauf hingewiesen, dass die Ausschreibetexte »dem Betreiber erhebliche Risiken und Verantwortungen aufbürden« und auf der anderen Seite das Land Berlin von vielen Verpflichtungen und Haftungen befreie. Die Liga empfahl ihren Mitgliedern deshalb: »Kein Träger ohne andere Zwänge kann oder sollte einen solchen Vertrag unterzeichnen, da sich daraus unkalkulierbare Risiken ergeben.«

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