Die Sache mit der Prognose
Mietkostenstudie des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln fußt auf einer fragwürdigen Datenbasis
Vor zehn, 15 Jahren, gab es einen Volkssport in Berlin. Der hieß: Umziehen. Vor allem junge Menschen in damaligen Szenevierteln wie Prenzlauer Berg oder Kreuzberg hielt es nicht lange in einer Wohnung, denn man konnte gewiss sein, dass man schnell eine noch günstigere Bleibe finden würde.
Diese Zeiten sind längst vorbei. Wer einmal eine bezahlbare Wohnung gefunden hat, der bleibt dort. Seit 2010 sind die Mieten in der Hauptstadt um 26 Prozent angezogen. Ein Durchschnittsberliner kann sich laut dem Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) statt 69 nur noch 68 Quadratmeter leisten.
Für den Großteil der Republik geben die Forscher hingegen Entwarnung: Seit 2010 seien die Mieten im Geschosswohnungsbau mit 10,2 Prozent weniger stark gestiegen als das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte mit 11,5 Prozent. Ein Durchschnittshaushalt, der ein Viertel seines Einkommens fürs Wohnen ausgebe, könne sich nun statt 92 Quadartmeter 94 Quadratmeter leisten. Im niederbayerischen Kreis Dingolfing-Landau seien es sogar 126 Quadratmeter. »Die enormen Mietsteigerungen konzentrieren sich auf wenige Orte«, meint IW-Mietenexperte Ralph Henger. Lediglich in Ballungszentren wie Hamburg, München oder Berlin sowie einigen Universitätsstädten explodieren demnach die Mieten.
Doch bei manch einem Ökonomenkollegen kommt die vier Seiten lange Arbeit des IW nicht gut an. »Da bleiben mehr Fragen offen als beantwortet werden«, sagt Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) gegenüber dem »neuen deutschland«. Was sich der Forscher etwa fragt: Mit welchen Zahlen hat das Institut gearbeitet? Denn für dieses Jahr gibt es noch gar keine amtliche Zahlen.
So rechnet das IW mit einem verfügbaren Einkommen, das zwar je nach Stadt oder Landkreis variieren kann, im deutschlandweiten Durchschnitt aber 44 500 Euro beträgt. Nur: In der amtlichen Statistik des Statistischen Bundesamtes sucht man diese Zahl vergebens. Die jüngsten Zahlen stammen dort von 2015, schließlich ist dieses Jahr noch nicht abgeschlossen. Demnach hatte eine Person 2015 im Durchschnitt 21 563 Euro zur Verfügung. Laut Brenke macht dies 43 148 Euro pro Haushalt.
Beim IW Köln verweist man darauf, dass man die Zahlen von der Gesellschaft für Konsumforschung verwendet hat. In der Tat gibt die GfK jährlich eine Prognose über die Kaufkraft der einzelnen Städte und Landkreise heraus. Doch sind dies eben Schätzungen, die zutreffen können oder nicht, und keine harten Daten. So warnt die GfK selbst: »Der Fokus der Studie liegt nicht in der Vergleichbarkeit der Daten über Jahre hinweg. Da es sich um Prognosen handelt, wird ausdrücklich davon abgeraten, die Daten der Vorjahre 1:1 miteinander zu vergleichen.«
Zumal die GfK in ihrer Studie noch auf einen anderen wesentlichen Sachverhalt hinweist: »Darüber hinaus ist auch zu berücksichtigen, dass die Kaufkraft einer Region ein Durchschnittswert der dort lebenden Bevölkerung ist und nichts über die Kaufkraft einzelner Individuen, die Kaufkraft je Haushalt oder über die dahinter liegende Einkommensverteilung und damit die Schere zwischen ›Arm‹ und ›Reich‹ aussagt.«
Aus genau diesem Grund rückt man bei der Verteilungsforschung vom Durchschnittseinkommen ab. Denn seit Jahren hat man hierzulande eine »rechtsschiefe Einkommensentwicklung«, wie es DIW-Experte Brenke nennt. Das heißt, dass die Einkommen der Gutverdiener schneller steigen als die der Normal- und Geringverdiener. »Dadurch hat man immer eine Verzerrung des Durchschnitts«, so Brenke. Reiche Haushalte ziehen also den Wert nach oben.
Eine Zahl, die stattdessen häufig bei der Verteilungsforschung herangezogen wird, ist das Medianeinkommen. Es ist genau das Einkommen, bei dem die eine Hälfte der Bevölkerung mehr und die andere weniger verdient. 2014 betrug es 19 733 Euro pro Person. Das untere Fünftel der Gesellschaft musste mit maximal 14 163 zurecht kommen; das obere Zehntel hatte mindestens 36 871 Euro.
Für viele Menschen hierzulande wird bezahlbarer Wohnraum also doch knapper.
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