Mehr Utopien auch bei Olympia wagen

Esther Franke über Sport und sein politisches Potenzial - jenseits kapitalistischer und sexistischer Strukturen

  • Esther Franke
  • Lesedauer: 4 Min.

Olympia könnte so schön sein: Jeden Tag Sport auf höchstem Niveau mit unterschiedlichsten Menschen und ihren sonst häufig wenig beachteten Sportarten. Es könnte ein reines Vergnügen sein, pure Freude am freundschaftlichen Wettbewerb. Ist es aber nicht. Sportler*innen und Zuschauer*innen sind in teilweise absurder Manier in kapitalistische Strukturen eingebunden. Körper werden als Waren vermarktet, müssen sich promoten und verkaufen. Der Wert der Sportler*innen bemisst sich über gewonnene Medaillen, darüber wird auch die Förderung ausgehandelt.

Auch zeigt sich bei Olympia 2016 wieder, wie stark Sport in sexistische Strukturen eingewoben ist: Nicht nur werden die Finalspiele der Männer* beispielsweise beim Fußball und Tennis als die vermeintlich wahren Highlights zuletzt gezeigt, auch gibt es jede Menge sexistische Kommentare von zumeist männlichen »Experten« und Kommentatoren. Für einige scheint es nach wie vor schwierig zu verstehen zu sein, dass Frauen* Höchstleistungen erbringen und erfolgreich sind – und das unabhängig von Männern* an ihrer Seite oder in ihrem Bett. Dass sie bei Olympia nicht hauptsächlich Ehefrau von oder Mutter, sondern eben Schwimmerin, Läuferin, Turnerin sind.

Es fiele aus diesen Gründen leicht, das Interesse am Sport zu verlieren. Doch das wäre schade! Sport bietet nach wie vor unendliche Möglichkeiten, Menschen zu vereinen, zu empowern und Brücken zu bauen. Wir sollten ihn – genauso wenig wie Philosophie, Politik oder andere Bereiche – weißen (alten) Männern* überlassen. Manche Sportler*innen konnten die Bühne Olympia bereits eindrucksvoll nutzen: Unvergessen bleiben Jesse Owens 1936 und die Black-Power-Aktivist*innen Tommie Smith und John Carlos 1968. Auch bei den derzeitigen Spielen fielen einige politische und sozial-kritische Statements – etwa von der Schwimmer*in Simone Manuel, der Judok*i Rafaela Silva oder der Kugelstoßer*in Michelle Carter.

Kein Mensch kann behaupten, Sport sei nicht politisch. Staatsdoping, Politiker*innen, die zu Sportereignissen reisen, um sich beliebt zu machen, sowie Verbindungen von Politik(er*innen), Sport und Nationalismus sprechen eine andere Sprache. Es gilt, das positive politische Potenzial von Sport und auch von Sportgroßereignissen – so kritikwürdig sie sind – zu nutzen und Politisierungen zu fordern. Wie wäre es, wenn mehr Sportler*innen nicht nur ein paar Bälle in sogenannten Favelas verteilten, sondern wirklich ihre Stimme gegen soziale Ungerechtigkeiten erhöben? Wie wäre es, wenn es nicht nur Beschwerden über die Hygiene im Olympischen Dorf gäbe, sondern Sportler*innen aufstünden gegen die massenhaften Vertreibungen wegen WM und Olympia? Wie wäre es, wenn sich mehr Sportler*innen für gleichen Lohn für gleiche Arbeit einsetzten wie die Fußballer*innen des US-Teams? Wie wäre es, wenn mehr Sportjournalist*innen wirklich kritisch über die Ereignisse berichteten und sich sexistische Kommentare einfach sparten? Wie wäre es, kritische Diagnosen wie Hyperandrogenämie – landläufig auch Überschuss männlicher Geschlechtshormone – dazu zu nutzen, die Geschlechterbinarität in Frage zu stellen?

So etwas könnte zu Veränderungen beitragen, auch wenn dies lange dauern wird. Mit Discover Football versuchen wir, Sport zu nutzen und unterschiedlichste Frauen* in einem für Frauen* oft nach wie vor ungewöhnlichen Sport zusammenzubringen, Vernetzung zu ermöglichen und in Workshops über Fußball hinaus politische und soziale Themen zu diskutieren. Seit dem letzten Festival mischen wir die Teams, die aus zahlreichen Ländern anreisen, neu zusammen, um wirklichen Austausch zu ermöglichen. So spielen Frauen* aus Tibet und China oder Brasilien und Argentinien zusammen. Im Vordergrund stehen Fairness, Spaß am Sport und das Interesse an den anderen Menschen – egal welcher Nation und welchen Aussehens.

Lasst uns Sport nicht abschreiben, sondern Großereignisse kritisch begleiten, Veränderungen fordern und Alternativen schaffen, die es ermöglichen, dass sich alle in ihrem Sport wohlfühlen und niemensch aufgrund von Sportevents leiden muss. Dies ist eine Utopie und ein langer Weg, aber beitragen können wir alle dazu.

Discover Football veranstaltet vom 31. August bis zum 4. September bereits zum fünften Mal ein großes Frauen*-Fußball-Kultur-Festival. Es nehmen mehr als 100 Frauen* aus über zehn Ländern teil.

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