»Du sollst dich nie vor einem lebenden Menschen bücken«
Ein Nachruf auf den Ökonomen und LINKE-Mitgründer Herbert Schui
Viele von uns hat die Nachricht vom Tode Herbert Schuis überrascht und erschüttert. Als die Krankheit an ihm zehrte, zog er sich zurück. Bis zuletzt konnte man aber immer wieder von ihm lesen und hören. Von mir stand noch ein Rückruf aus. Jetzt wird aus dem Rückruf ein Nachruf.
Kennengelernt habe ich Herbert Schui in den 1980er Jahren, als ich an der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik studierte. Er war mein Professor, er war streng und ließ kein Geschwafel durchgehen. Aber er war nicht nur mein Lehrer, er wurde für mich auch schnell zu einem guten Freund. Die richtige Haltung ist wichtig und notwendig, die richtigen Taten verbessern die Welt, so lautete Schuis Botschaft an seine damaligen Studierenden, von denen bis heute viele in den Gewerkschaften arbeiten oder in der Politik aktiv sind. Von ihm haben sie ihr ökonomisches und politisches Rüstzeug erhalten. Politische, in der Arbeiterbewegung verankerte Intellektuelle wie Herbert Schui machten zu den Zeiten Willy Brandts die Stärke der SPD aus. Leider hat sie das damals wie heute nicht begriffen.
Es waren tolle Jahre. Wir lernten bei Herbert Schui die Grundlagen der linkskeynesianischen Volkswirtschaftslehre, die immer versucht, reformerische Brücken zwischen einer krisenhaften Gegenwart und einer gerechteren Gesellschaft zu bauen. Das wünschen sich bis heute viele Menschen. Es war aber auch die Zeit, in der Helmut Kohl eine konservative Wende ausrief und Otto Graf Lambsdorff einen neoliberalen Masterplan vorlegte, der sich wie die Blaupause der Politik las, die seitdem alle Regierungen exerzierten: Lohnkostensenkung im Namen der Wettbewerbsfähigkeit, Steuersenkung für Millionäre im Namen der Standortkonkurrenz, Sozialabbau im Namen einer Ideologie ausgeglichener Staatshaushalte, Selbstamputation des Staates im Namen des Marktkultes.
Schui kritisierte diese Politik schon früh. Als Helmut Schmidt den Wechsel von einer nachfrageorientierten Politik der ökonomischen Globalsteuerung hin zu einer neoliberalen Politik einleitete, gründete Herbert Schui 1975 mit anderen die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik. Es ist kein Zufall, dass sich vieles, was zunächst in den Memoranden stand, später in den Programmen der WASG und der LINKEN wieder fand.
Herbert Schui und mich verband nicht nur eine Freundschaft, sondern natürlich auch die politische Arbeit. Immer wieder war er Referent in verschiedenen Veranstaltungen von Gewerkschaften. Oft schickte er mir seine neuen Texte. An einem klebte um die Jahrtausendwende ein handschriftlicher Zettel. »Wann treten wir endlich aus diesem ***verein aus?« Er meinte die SPD. Die Bezeichnung war nicht freundlich. Ich habe ihm darauf geantwortet, dass wir das wenn, dann gemeinsam machen.
Als ich ihn 2004 fragte, ob er zu den Erstunterzeichnern unseres Aufrufs für »Arbeit und soziale Gerechtigkeit« gegen Schröders Agenda-Politik gehören will, zögerte er keinen Moment. Wir veröffentlichten unseren Aufruf, flogen aus der SPD und gründeten die WASG, später DIE LINKE. Der politische Druck, den er dafür als Professor an einer gewerkschaftsnahen Hochschule auszuhalten hatte, war immens. Aber Herbert Schui gehörte zu den Menschen, die Willi Bleichers Satz »Du sollst dich nie vor einem lebenden Menschen bücken« lebten.
Herbert Schui war als Ratgeber unbequem. Er sagte mir auch später auf den Kopf zu, wenn wir der in Parteien so weit verbreiteten Versuchung erlagen, Politik durch Haltungslehre zu ersetzen. Seine Kritik war nicht nur erträglich sondern überaus hilfreich, nicht nur, weil er sie immer mit einem Schmunzeln und nie als Lehrer vortrug. Er lachte gerne, auch über sich selber; eine Eigenschaft, die in Parteien nicht so verbreitet ist.
Als Ökonom beharrte er darauf, dass in einer kapitalistischen Ökonomie zunächst alles auf die Primärverteilung über die Löhne und dann auf die Sekundärverteilung über die Steuern ankommt. An den praktischen Kämpfen führt kein Weg vorbei, egal wie viele linke Parteien es gibt, egal wer regiert. Es gibt keinen Fahrstuhl zum sozialen Fortschritt, da passen einfach zu wenige rein. Wir müssen wohl oder übel die Treppe nehmen, und das geht am besten, wenn wir viele sind, gemeinsam kämpfen und uns gegenseitig helfen. Herbert Schui wird fehlen, seiner Familie, seinen Freunden, seiner Partei, der gesamten politischen Linken. Wir verlieren einen Ratgeber und einen Freund.
Klaus Ernst ist Bundestagsabgeordneter und ehemaliger Co-Vorsitzender der Linkspartei und zusammen mit Herbert Schui einer der Mitbegründer der WASG.
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