Keine Aufklärung, keine Gerechtigkeit

In Dessau ist das Gedenken an Oury Jalloh getrübt durch einen Konflikt zwischen den Aktivisten

  • Hendrik Lasch, Dessau-Roßlau
  • Lesedauer: 5 Min.

Es gibt keine Tafel, noch immer nicht. An der Fassade des grauen Gebäudes in der Dessauer Wolfgangstraße wird darauf hingewiesen, dass hier die Polizei eine Dienststelle unterhält. An das grausame Geschehen am Mittag des 7. Januar 2005 wird mit keinem Wort erinnert. In einer Zelle im Keller des Gebäudes verbrannte damals der Flüchtling Oury Jalloh, den Polizisten am Morgen, wie es heißt, in »Gewahrsam« genommen hatten. Ein Tod in der Obhut des Staates; ein Tod, der bis heute nicht zufriedenstellend geklärt ist und an den gerade deshalb erinnert werden müsste, sagt Marco Steckel. Aber dazu, ergänzt der Opferberater am Multikulturellen Zentrum, brauche man einen »authentischen Ort«. Zum Beispiel eine Tafel an der Polizeiwache. Steckel hat viel versucht, damit sie angebracht wird. Vergeblich.

Es ist, man muss es leider sagen, nicht das einzige Indiz dafür, dass die Erinnerung an Jallohs Tod in Dessau immer weniger gepflegt wird. Dabei hat gerade Steckel viel dafür getan. Der 44-Jährige, der einst Juso-Chef in Sachsen-Anhalt war und für die SPD im Landtag saß, hatte just im Januar 2005 die Stelle als Opferberater übernommen. »Oury Jalloh war mein erster Fall«, sagt er - einer, den er rein formal gar nicht hätte übernehmen dürfen. Schließlich gab es kein Opfer, das ihn um Beratung und Betreuung hätte bitten können. Stattdessen: ein Toter, verbrannt unter dubiosen Umständen in einer Polizeizelle. Afrikaner in Deutschland waren schockiert, viele Dessauer erschüttert. Steckel sorgte, gemeinsam mit Jallohs Freund Mouctar Bah, für eine Trauerfeier; später organisierte er, weil Ermittlungsbehörden mauerten, eine öffentliche Anhörung, bei der Rechtsanwälte über die Umstände des Todes berichteten. Titel der Veranstaltung: »Chronologie einer Menschenverbrennung«. Stellen, von denen die Opferberatung gefördert wurde, waren nicht begeistert.

Trotzdem tauchte Steckels Name immer wieder auf, wenn es um Oury Jalloh ging. Als der erste Prozess am Landgericht Dessau begann, fertigte er gemeinsam mit Steffen Andersch vom »Projekt Gegenpart« in Dessau Protokolle der Sitzungstage an - immerhin 59. Die Texte sind bis heute im Netz nachzulesen, bis hin zum empörten Fazit des Vorsitzenden Richters, ein rechtsstaatliches Verfahren sei wegen der Schweigemauer auf der Seite der Polizei unmöglich gewesen. Vom zweiten Prozess in Magdeburg gibt es solche Dokumente nicht.

Zugleich organisierte Steckel in der Stadt in Sachsen-Anhalt das öffentliche Gedenken. Alljährlich am Jahrestag des Todes versammelten sich Menschen vor der Wache; manchmal wurden kurze Texte vorgelesen, stets Blumen niedergelegt. Neben Vertretern des Multikulturellen Zentrums kamen Mitglieder einer deutsch-afrikanischen Initiative, vom Bündnis gegen Rechts, vom Migrantenrat. Und zunehmend auch von offiziellen Stellen: Oberbürgermeister, Stadträte - sowie Vertreter von Polizei und der Staatsanwaltschaft.

Nicht zuletzt die Auftritte von Vertretern der Ermittlungsbehörden indes stießen bei der »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh« auf scharfe Kritik. Diese lud ebenfalls an jedem 7. Januar zu Demonstrationen nach Dessau - und gab dort lautstark und wütend zu Protokoll, wie sie den Fall bewertete. »Oury Jalloh - das war Mord« lautete die Parole - eine Anschuldigung, die betroffene Behörden zeitweise aggressiv zu unterbinden suchten. 2012 machte die Polizei Jagd auf entsprechende Transparente; Mouctar Bah als Anmelder wurde krankenhausreif geprügelt.

In Dessau hat man sich die Parole indes nicht zu eigen gemacht. Zwar betont auch Steckel, dass er große Zweifel an der These der Ermittler hegt, der an Händen und Füßen gefesselte Jalloh habe sich selbst angezündet: »Ich habe früher in der Psychiatrie gearbeitet. Ich weiß, was es heißt, einen Menschen zu ›fixieren‹.«

Aber Steckel sagt auch, die Formulierung vom Mord sei »in dieser Stadt nicht anschlussfähig«. Als Politiker habe er zum Kompromiss geraten; zur offenen Frage etwa, ob Dritte eine Rolle bei dem Tod gespielt hätten. Er hatte indes nicht den Eindruck, dass der Gedenkinitiative an solch taktischem Verhalten gelegen sei. Sie antwortete auf die starre Haltung der Ermittler mit dem Beharren auf ihrer Überzeugung, Jallohs Tod sei von Polizisten verschuldet. Dass Vertreter der Behörden beim Gedenken vor der Wache zugegen waren, sei, wie es Mouctar Bah im Januar 2013 formulierte, »eine Farce«.

An jenem Januartag gab es beim Gedenken in Dessau einen Bruch, der bis heute nicht verheilt ist. Auf den Stufen der Polizeiwache kam es zum Eklat: zu handgreiflichen Übergriffen von Vertretern der Gedenkinitiative, die einer Pfarrerin einen Strauß Blumen ins Gesicht und Steckel einen Gegenstand auf den Kopf schlugen: einen Bilderrahmen mit Jallohs Porträt. »Da ist eine Grenze überschritten worden«, sagt Steckel: »Das hat viel zerstört.« Das jährliche Gedenken gibt es noch immer. So viel Resonanz wie vor 2013 aber erfährt es nicht mehr.

Der Opferberater hatte seither einen Strich unter das Thema gezogen - wozu auch beitrug, dass die juristische Aufarbeitung seit einem Spruch des Bundesgerichtshofs von 2014 abgeschlossen schien. Dass nun ein erneuter Brandversuch stattfinden soll, hat ihn überrascht. Dass die offenen Fragen dadurch geklärt werden, kann er nicht glauben; zu groß sind die Differenzen zwischen dem, was die Ermittler als gegeben voraussetzen, und dem, was die Nebenklage annimmt.

Bei aller Kontroverse hätten die Gedenkinitiative und die Aktivisten in Dessau ein gemeinsames Anliegen, sagt Steckel: »Wir wollen Aufklärung, Gerechtigkeit und Entschädigung.« Und wie steht es darum, elf Jahre, sieben Monate und 13 Tage nach Jallohs Tod? »Wir wissen so viel oder so wenig wie damals«, sagt Steckel. Aufklärung? Bislang ausgeblieben. Gerechtigkeit? Entschädigung? »Ebenfalls nein.« Und wenn der Versuch in Dippoldiswalde zeigt, dass beim Feuer nachgeholfen wurde? Dann, sagt er, »bräuchte man einen Täter«. Gesucht werden müsste der bei der Dessauer Polizei, die bisher nicht einmal eine Tafel für Jalloh übrig hatte.

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