Beim Burkastreit geht es nicht um Frauen
Die Diskussion um Verschleierung in Deutschland und Frankreich ist geprägt von einem Kampf um Geschlechterrollen
Kaum etwas provoziert westliche Geschlechtervorstellungen so stark wie die Totalverhüllung der Frau. Frauen sind doch gerade dafür da, angeschaut zu werden, anschaulich zu sein. Über die Art, wie sie ihren Körper dafür aufbereiten, entscheidet die westliche Gesellschaft mit einem enormen Arbeitsaufwand. Da wird gestritten über Brustumfänge und Körperhaar-Entfernungs-Methoden, da werden Wettkämpfe ausgeführt, daran feilen abertausende Arbeiterinnen in einer eigens erschaffenen Modeindustrie.
Bikini? Minirock? Hotpants? Kurze Haare oder lange? Rasierte Achseln oder Retro? Seit jeher ist es ein zentrales Thema westlicher Gesellschaften, wie Frauen in der Öffentlichkeit aufzutreten haben – und wie nicht. Männer haben dabei mehr als nur ein Wörtchen mitzureden. Kein Wunder, hängt an diesem Auftritt doch die gesamte Bevölkerungsorganisation, vom Kennenlernen über das Familiengründen bis zum Kinderkriegen, von der belobigenden Bestätigung des harten Körpertrainings bis zur imaginierten Affäre, die das Ego wieder aufrichtet. Frauen sehen aus. Männer sprechen an. Ihre Haare, ihre Augen, ihre Brüste, ihren Po: Jederzeit erfassen männliche Blicke auf der Straße, mit was für einer Frau sie es hier zu tun haben. Prüfen. Einschätzen. Kommentieren. Die Straße: der Heiratsmarkt und stetige Körper-TÜV des Westens. Ein Fleischmarkt, um in den Worten der britischen Feministin Laurie Penny zu sprechen, bei dem es darum geht, sich als möglichst fickbar darzustellen.
Eine burkatragende Frau ist damit der Inbegriff der Ablehnung des westlichen Geschlechtsmodells. Eine Totalverweigerung. Sie lässt keine prüfenden Blicke zu, gewährt keine Transparenz, keine Kontrolle der neoliberalen Körperperfektionierung. Und noch schlimmer: Sie nimmt dem westlichen Genderregime, den westlichen Männern die Kontrolle über das weibliche Gebaren - und hält es fest in der Hand muslimischer Männer. Die Burka ist ein Symbol im Kampf um die kulturelle Deutungshoheit über das Heiligste im Patriarchat: die Frau.
Was selbige denkt, will und vorhat, spielt in der Diskussion um Burka und Burkini so gut wie keine Rolle. Um das einmal klarzustellen – nicht, dass das ernsthaft umstritten wäre: Natürlich ist die Burka ein brutaler Ausdruck von Geschlechterungleichheit. Allerdings einer unter vielen. Es stellt sich zum einen die Frage, ob bei der extrem niedrigen Anzahl burkatragender Frauen in Europa die Diskussion um Gesichtsverschleierung tatsächlich die dringlichste in Sachen Sexismus ist. Mir würden da ganz andere einfallen: die Verhinderung von Vergewaltigungen auf dem anstehenden Oktoberfest zum Beispiel. Wenn den Pegida-Männern der Schutz von Frauen so wichtig ist, wieso zerbrechen sie sich jetzt nicht den Kopf, wie die alljährlichen sexuellen Übergriffe auf dem Bierfest endlich beendet werden könnten?
Zum anderen führt die Burkadiskussion wohl kaum dazu, dass weniger Frauen Burka tragen müssen. Denn dass der Westen von der Verschleierung nichts hält, ist für Muslime nun wirklich nichts Neues. Die Diskussion um Burka, Niqab und Hijab müssen muslimische Frauen schon selber führen – und das tun sie längst.
Und drittens scheint mir die unausgesprochene Erwartung nicht etwa zu sein, dass Frauen keine Burka tragen müssen, sondern folgende: Frauen sollen keine Burka tragen dürfen. Denn auch für die muslimische Frau soll gefälligst das westliche Unterwerfungsprinzip gelten. Sie soll sich als Objekt zeigen. Und über den westlichen Sexismus – der Kampf um Ausschnitte, Bäuche, Brüste und Ärsche, um Bein- und Schambehaarung, um Dominanz und Löhne, sexuelle Übergriffe und Diskriminierung –, über den haben selbst die Herren von AfD oder Pegida jahrelang mitzuentscheiden. Der geht also klar.
Vielleicht geht es bei dem Burkastreit nicht so sehr um die Rolle der Frau, sondern mehr um die des Mannes. Um männliches Dominanzgehabe. Auf Korsika etwa hielt sich beim Ausbruch des Burkinistreits keine einzige Frau im Burkini am Strand auf. Die Brüder einer muslimischen Familie wollten in Ruhe in einer Bucht fischen und stellten dazu ein Schild auf, das das Betreten verbieten sollte. Junge Kerle aus dem anliegenden Dorf meinten, die Sache mit den Brüdern von Mann zu Mann klären zu müssen. Die Schlägerei ging los, ein verprügelter Dorfhalbwüchsiger brachte seinen Vater auf den Plan, der meinte, die Ehre seines Sohnes verteidigen zu müssen, woraufhin er auf die Nase bekam, weshalb 40 Dorfmänner auf die Brüder losgingen. Das Ergebnis: ein Burkini-Verbot. Hugh. Korsisch-weiße Männer haben gesprochen. Haben den Nordafrikanern gezeigt, wer hier über die Frauen am Strand bestimmen darf. Hunde pissen für so etwas an einen Baum.
Im kulturellen Diskurs um die Burka spielen viele Aspekte eine Rolle: eine diffuse Angst vor einer kulturellen Überfremdung durch den Islam, auf die ein Burka-Verbot eine praktische, überblickbare Reaktion zu sein scheint. Eine Ohnmacht gegenüber den Amokläufen und Attentaten und der Wunsch, Handlungsmacht zu erlangen. Dass im Ergebnis auf die Regulierung der Frauenrolle gezielt wird, ist jedoch kein Zufall. Eine zentrale Rolle spielen dabei patriarchale Strukturen und Dominanzgebaren auch der westlich sozialisierten Männer. Um die burkatragenden Frauen und ihre Perspektive geht es dabei am wenigsten. Es geht darum, wer hier über die Frauen bestimmt: das westlich-patriarchale Kulturmodell oder das muslimisch-patriarchale. Ein Revierkampf.
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