Gegen Erdogan, für Rojava

Kurdische Politiker fordern in Köln ein Ende der türkischen Angriffe in den Kurdengebieten

  • Sebastian Weiermann, Köln
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Kölner Polizeipräsident Jürgen Matthies hatte im Vorfeld des kurdischen Festivals alles dafür getan, dass dieses eine möglichst große Aufmerksamkeit bekommt. Eigentlich sollte es im »Rhein-Energie-Stadion« stattfinden, die Polizei drängte aber die stadteigene Betreibergesellschaft dazu, den Mietvertrag für das Stadion nicht zu unterschreiben. »NAV-DEM«, die Vereinigung kurdischer Vereine, reagierte auf dieses faktische Verbot schnell und meldete die Kundgebung am Rhein an. Auf einen Demonstrationszug durch die Stadt verzichtete man nach Gesprächen mit der Polizei freiwillig.

Die Polizei schürte allerdings weiter Panik vor der kurdischen Kundgebung. Alle in NRW verfügbaren Kräfte sollten für die Demo zusammengezogen werden, Urlaub für die Beamten gab es nur in begründeten Ausnahmefällen. Auch am Samstag Morgen versuchte die Polizei Stärke zu demonstrieren. Polizeipräsident Matthies wies die Veranstalter persönlich daraufhin, dass die Kundgebung abgebrochen werde, wenn es Liveschaltungen aus den kurdischen Gebieten geben sollte. Die Präsenz vor Ort war mehr als deutlich, auf den Pfeilern der Severinsbrücke waren, genau wie vor einem Monat bei der Pro-Erdogan-Kundgebung, Scharfschützen postiert. Am Rande der kurdischen Demo standen Wasserwerfer und Räumpanzer bereit. Im Zelt für die Veranstaltungstechnik war ein Beamter postiert, um bei Bedarf den Stecker zu ziehen. Überall liefen Polizisten mit Kameras herum, um verbotene Symbole dokumentieren zu können.

All diese Maßnahmen wirkten deutlich übertrieben - auf der Wiese am Rhein waren hunderte Stände aufgebaut, kurdische Vereine von Zürich bis Kiel verkauften Essen, Händler boten ihre Waren an. Von der kurdischen Übersetzung des »Kleinen Hobbit« bis zu I-Phone-Hüllen mit dem Konterfei des langjährigen PKK-Frontmanns Abdullah Öcalan wurde fast alles angeboten, was irgendwie einen Bezug zu Kurdistan hat. Rauchschwaden von Ständen mit Fleischspießen zogen über die Deutzer Werft, ganze Familien saßen auf der Wiese und picknickten.

Die meisten Menschen standen aber natürlich vor der Bühne und hörten den Bands und Rednern bei der Kundgebung zu. Das Motto der Großkundgebung am Samstag lautete: »Gegen Diktatur und für Gleichbehandlung«. Protestiert werden sollte auch gegen den Ausnahmezustand und die anhaltende Verhaftungswelle in der Türkei sowie gegen den Angriff der türkischen Armee auf kurdische Milizen in Syrien.

Salih Müslim von der syrischen PYD sandte eine klare und deutliche Botschaft: Die Kurden hätten sich in den letzten Jahren zurückgehalten und auf den Kampf gegen die Terrormiliz IS beschränkt. Diese Zurückhaltung sei aber mit dem Einmarsch der Türkei in Syrien vorbei, die türkische Führung könne sich auf eine Niederlage vorbereiten, so Müslim. Unter Verweis auf Öcalan kündigte er an, das politische System im Nahen und Mittleren Osten umwerfen und Demokratie und Menschenrechte für alle Völker aufbauen zu wollen. Müslim stellte klar, dass dies auch für das türkische Volk gelte, gegen das man keinen Zorn hege. Seine Rede wurde immer wieder von »Öcalan«- und »Rojava«-Rufen unterbrochen - so wird das kurdische Gebiet in Nordsyrien bezeichnet.

Nach ihm trat Selahattin Demirtas auf. Der prominenteste Politiker und Posterboy der linkskurdischen HDP sorgte schon vor seiner Rede für Begeisterung. Menschen umringten ihn, Fotos mit Demirtas waren sehr gefragt. In seiner Rede sparte Demirtas nicht mit Kritik an der türkischen Politik unter dem autokratischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Die Türkei sei noch immer der wichtigste Unterstützer des IS, dies beweise auch die derzeitige Offensive der türkischen Armee in Syrien.

Auch für die Menschen in Deutschland hatte Selahattin Demirtas eine eindeutige Botschaft. »Der Kampf der Kurden in Syrien ist auch ein Kampf für die Sicherheit Deutschlands«, so der HDP-Ko-Vorsitzende. Die Kurden in Syrien seien bisher die einzigen, die den Islamismus im Mittleren Osten entschieden bekämpften. Mit ernsten Worten kündigte Demirtas einen Hungerstreik an, bis die Kurden ein Lebenszeichen des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan erhielten.

Auch der LINKE-Vorsitzende Bernd Riexinger forderte: »Sofort raus aus Syrien mit dem türkischen Militär!« Die EU müsse die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei stoppen, die Bundesregierung das Flüchtlingsabkommen mit Erdogan aufkündigen. »Öcalan muss freigelassen werden«, forderte Riexinger. »Wir dürfen auch nicht akzeptieren, dass die PKK in Deutschland verboten ist. Wir fordern die Aufhebung des Verbots.«

Der einzige polizeiliche Aufreger am Rand der Kundgebung war ein Koffer voller Wäsche auf der Deutzer Brücke. Die Überfahrt wurde kurzzeitig gesperrt, Sprengstoffexperten rückten an - aber außer womöglich schmutziger Wäsche war nichts zu finden.

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