Die Hohe See bleibt Freiwild
Zehn Prozent der Ozeanfläche sollen laut UN-Beschluss Meeresschutzgebiet werden - mehr als Symbolpolitik?
US-Präsident Barack Obama schafft vor der Küste Hawaiis das größte Meeresschutzgebiet der Erde. Kurz vor Beginn der IUCN-Konferenz hat er per Verfügung die Fläche eines bestehenden Schutzgebiets vor Hawaiis nordwestlichen Inseln vervierfacht. Das Papahanaumokuakea Marine National Monument ist mit 1,5 Millionen Quadratkilometern nun mehr als vier Mal so groß wie Deutschland. Neben bedrohten Korallenriffen beherbergt es hunderte Tierarten, die nirgends sonst vorkommen, darunter eine dieses Jahr entdeckte Tintenfischart. Dort vorkommende Schwarze Korallen werden auf ein Alter von 4265 Jahren datiert und sind damit der älteste lebende Organismus der Welt.
Weltweit gibt es mehr als 5000 Meeresschutzgebiete. Einmal eingerichtet, werden sie in aller Regel nicht wieder aufgehoben, also nimmt deren Anzahl zu. Doch Kim Detloff, Leiter Meeresschutz beim Naturschutzbund (NABU), warnt vor einer Überbewertung: »Insgesamt machen Meeresschutzgebiete gerade einmal drei Prozent der Ozeanfläche aus.«
Viel zu wenig, selbst aus dem Blickwinkel der Regierungen: »Die internationale Zielsetzung ist, einen Anteil von zehn Prozent der Meeresfläche als Schutzgebiet auszuweisen«, sagt Claus Ubl vom Deutschen Fischereiverband. Im Jahr 1992 hatten die Vereinten Nationen das Übereinkommen für die Biologische Vielfalt beschlossen, das inzwischen über 190 Staaten unterzeichnet haben. Langsam wird die Zeit knapp, denn bis zum Jahr 2020 soll die Zehn-Prozent-Grenze weltweit erreicht sein. »In Deutschland«, betont Ubl, »ist dieses Ziel weit übertroffen.«
Doch Meeresschutzgebiet ist nicht gleich Meeresschutzgebiet. »Man muss berücksichtigen, dass unter der Überschrift ›Schutzgebiete‹ viele verschiedene Ansätze vereint sind«, so Christopher Zimmermann, Leiter des bundeseigenen Thünen-Instituts in Rostock. »Die wenigsten Gebiete sind wirklich ›nutzungsfrei‹.« Umweltschädliche menschliche Aktivitäten wie Grundschleppnetzfischerei oder die Erdgasförderung sind oft nur teilweise oder gar nicht eingeschränkt. Das gilt auch für Nord- und Ostsee.
Immerhin sind Deutschlands Meeresgebiete »in einem globalen Ranking auf Platz drei gelandet«, lobt Fischereifachmann Ubl. Besser waren 2012 nur zwei unbewohnte Südseeinseln. Auch Umweltaktivisten halten etwa das UNESCO-Weltnaturerbe im Wattenmeer für den »höchstmöglichen Naturschutz«. In anderen geschützten Gebieten werde aber die wirtschaftliche Nutzung nur minimal eingeschränkt. Und nicht allein in Deutschland sind viele Gebiete zwar formal als Meeresschutzgebiet ausgewiesen, werde aber der Spagat zwischen Umwelt und Mensch noch nicht »gemanagt«.
Studien zeigen immerhin, dass Artenvielfalt, Individuenzahl und -größe in den Meeresschutzgebieten zunehmen. »Sogenannte Spillover-Effekte - Fisch wandert aus den Gebieten ab - können mittelfristig auch Erträge für die Wirtschaft erhöhen«, ist NABU-Experte Detloff überzeugt. Das zeigten unter anderen »sehr eindrucksvoll« die Erfahrungen aus dem weltberühmten Great Barrier Reef.
Aber die Spillover-Effekte sind umstritten. Steht den kurzfristigen Einschränkungen für die Fischer wirklich langfristiger Nutzen gegenüber? »Anders als oft behauptet wird, gibt es keine belastbaren Belege dafür, dass sich Schutzgebiete als Fischereimanagement-Instrument eignen würden«, warnt Zimmermann vor zu viel ökonomischem Optimismus.
Tourismus ist in marinen Schutzgebieten meistens weiter zugelassen. Befürworter argumentieren, dass verstärkter Tourismus die Ertragseinbußen durch Einschränkung »extraktiver Nutzungen« wie dem Rohstoffabbau ausgleichen kann.
In jedem Fall müssten die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und Erforderlichkeit beachtet werden, verlangt die Wirtschaft. Reine Symbolpolitik nütze nichts, sei aber leider sehr häufig. Dem stimmen, wenngleich aus einem anderen Blickwinkel, Umweltaktivisten durchaus zu.
Bislang sind Meeresschutzgebiete trotz des globalen Ansatzes vor allem Ergebnis nationaler Politik. Außerhalb der 200-Seemeilen-Zone gibt es nur sehr wenige geschützte Gebiete. »Für die Hohe See, also zwei Drittel der Ozeane, haben wir noch gar kein Instrument«, beklagt Stephan Lutter, Meeresschutzexperte der Umweltstiftung WWF. Immerhin gebe es hier erste Fortschritte innerhalb der UNO. Die Verhandlungen dürften sich allerdings noch jahrelang hinziehen.
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