Der trickreiche Sigmar Gabriel
SPD-Spitze folgt der Freihandelspolitik ihres Vorsitzenden, der Nachbesserungen bei CETA in Aussicht stellt
Als der SPD-Vorstand am Montag in Berlin zu seiner Sitzung zusammenkam, stand wieder einmal ein heikles Thema auf der Tagesordnung. Das 35-köpfige Gremium sollte über den Leitantrag zum europäisch-kanadischen Freihandelsabkommen CETA für den Parteikonvent am 19. September in Wolfsburg abstimmen. Letztlich konnten sich der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel und seine Unterstützer mit großer Mehrheit durchsetzen. Gegen ihre Fassung votierte lediglich der frühere Berliner Landeschef Jan Stöß. Zudem gab es drei Enthaltungen. Zuvor hatte bereits das Präsidium der Sozialdemokraten für den Antrag votiert.
In diesem wird die Bundesrepublik dazu aufgefordert, dem Abkommen bei einer Sitzung des EU-Ministerrats im Oktober zuzustimmen. Gabriel gehört diesem Gremium als Bundeswirtschaftsminister an. CETA soll nach den Beschlüssen auf EU-Ebene in Teilen vorläufig in Kraft treten. Nach dem Willen der SPD-Spitze müssten allerdings die Regelungen zum sogenannten Investitionsschutz davon ausgenommen werden. Dieser sieht vor, dass Konzerne Sonderrechte erhalten, Staaten vor internationalen Schiedsgerichten zu verklagen, wenn sie aufgrund der nationalen Gesetzgebung von Gewinneinbußen ausgehen. Dadurch steigt der Druck auf nationale Regierungen, Sozial-, Verbaucher- und Umweltstandards weiter abzusenken.
Der »Investitionsschutz« soll erst dann umgesetzt werden, wenn auch die nationalen Parlamente dem Freihandelsabkommen zugestimmt haben. Die Verhandlungen zwischen der EU-Kommission und der kanadischen Regierung über CETA sind abgeschlossen. Weil in der SPD aber Teile des Vertrags weiterhin heftig kritisiert werden, suggerieren die führenden Genossen nun, dass in den parlamentarischen Verfahren noch »Klarstellungen« durch Erklärungen der Vertragsparteien möglich seien. So sollten bei CETA unbestimmte Rechtsbegriffe vermieden und die öffentliche Daseinsvorsorge aus dem Streitschlichtungsmechanismus herausgenommen werden, um diese vor Privatisierung und Liberalisierung zu schützen. Sonderlich stark sind diese von der SPD-Spitze gewählten Formulierungen nicht. Es ist zu erwarten, dass sich die Sozialdemokraten bestenfalls mit kosmetischen Änderungen zufriedengeben werden und der CETA-Vertrag im Kern so bestehen bleibt, wie er derzeit ist.
Das befürchtet auch die SPD-Bundestagsabgeordnete und Parteilinke Hilde Mattheis. Sie erklärte, dass »die Parlamente rein rechtlich keine Möglichkeit mehr haben, die Verhandlungen neu aufzusetzen, sondern formal dem Abkommen nur zustimmen oder es ablehnen können«. Deswegen forderte Mattheis eine Ablehnung von CETA bei dem Parteikonvent. Wenn es dann zu Nachverhandlungen der EU-Kommission mit der kanadischen Regierung kommen sollte, müssten sich diese an den roten Linien der SPD orientieren, wonach es zu keinen Absenkungen von Standards zulasten von Arbeitern und Verbrauchern kommen darf. Allerdings heißt es aus Parteikreisen, dass selbst das von Gabriel geführte Wirtschaftsministerium diese Nachverhandlungen nicht für realistisch hält.
Nun wird es also darauf ankommen, ob die Mehrheit der etwa 200 Delegierten der SPD nach einer Debatte unter Ausschluss der Öffentlichkeit beim Parteikonvent dem Antrag ihrer Führung folgen wird. Neben weiteren Parteilinken wollen ihn die Jusos in der derzeitigen Form ablehnen. Das ARD-Magazin »Fakt« hat sich in Landes- und Bezirksverbänden der SPD umgehört und geht davon aus, dass mindestens 90 Konventsteilnehmer gegen CETA stimmen werden. Das könnte etwas großzügig geschätzt sein. Vertreter aus Landesverbänden, die ablehnende Beschlüsse zu dem Vertrag gefasst haben, stellen sich nämlich nicht unbedingt gegen den Antrag des Bundesvorstands. So hatte sich etwa die Bayern-SPD gegen das Freihandelsabkommen positioniert. Trotzdem enthielt sich Natascha Kohnen, die Generalsekretärin der bayerischen Sozialdemokraten, bei der Abstimmung im Bundesvorstand. Ebenso verhielt sich Matthias Miersch. Der Sprecher der SPD-Linken im Bundestag verlangte Konkretisierungen im Antrag, welche genauen Änderungen an CETA aus Sicht der Sozialdemokraten notwendig seien.
Auch der Vorstand der Berliner SPD hatte zu Beginn der Woche einstimmig beschlossen, CETA in der vorliegenden Fassung abzulehnen. Der Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Raed Saleh, warnte gegenüber »Fakt« davor, dass das Freihandelsabkommen »sämtliche möglichen Rekommunalisierungen verhindern« würde. Deswegen sprach er sich für eine »Basisbefragung« aus. Diese Idee könnte jedoch schnell wieder im Sande verlaufen. Denn die Hürden für einen Mitgliederentscheid in der SPD sind hoch. Die große Mehrheit der SPD-Spitze wird froh darüber sein, wenn das Konfliktthema CETA vom Tisch ist. Bis dahin können sich Berliner Sozialdemokraten im Wahlkampf als linke Kritiker des auch in der eigenen Anhängerschaft unbeliebten Abkommens präsentieren. Wie die SPD wirklich zu CETA steht, werden die Wähler ohnehin erst nach der Abstimmung des Konvents erfahren. Es ist wohl kein Zufall, dass dieser nicht vor, sondern einen Tag nach der Berliner Abgeordnetenhauswahl stattfindet.
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