Schaulaufen der grünen Bewerber

Die Ökopartei hat bei einem Länderrat die Urwahl ihres Spitzenkandidatenduos eingeläutet

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Cem Özdemir braucht einige Zeit, um sich an das neue Format zu gewöhnen. Dann steht er nicht mehr steif da, sondern geht während seiner Rede mit kurzen Schritten hin und her und zeigt auf die Gruppen von Delegierten, auf die er sich gerade bezieht. Der Parteivorsitzende der Grünen steht nicht wie gewohnt an einem Rednerpult vor seinem Publikum, sondern in der Mitte auf einer erhöhten Plattform. Ein wenig erinnert dies an Veranstaltungen im US-amerikanischen Wahlkampf. Bei den Grünen finden nun, wenn auch mit etwas anderen Regeln als auf der anderen Seite des Atlantiks, ebenfalls Vorwahlen statt. Die etwa 60 000 Mitglieder können darüber entscheiden, welche beiden Grünen ihre Partei im kommenden Bundestagswahlkampf anführen sollen. Der formale Beschluss, dass der Urwahlprozess nun beginnt und bis zu Beginn des kommenden Jahres beendet sein soll, wird am Samstag bei einem Kleinen Parteitag in Berlin, den die Grünen Länderrat nennen, einstimmig getroffen.

Özdemir ist einer der Bewerber. Wie so oft bei Parteitagen verknüpft er auch dieses Mal seine politische Rede mit persönlichen Erfahrungen. Der Parteichef kommt gerade von der Einschulung seines Sohnes und hofft nicht, dass dieser dort einmal in seine Fußstapfen tritt. Denn Özdemir war lange Zeit ein schlechter Schüler. »In meiner Schulzeit hatte nur ein türkischstämmiges Mädchen eine Gymnasialempfehlung«, kritisiert er. Bildung dürfe nicht mehr von der sozialen Herkunft abhängen. Deswegen müsse in diesen Bereich mehr Geld investiert werden. Özdemirs Auffassung von Gerechtigkeit ist »Leistungsgerechtigkeit«. Von Verteilungsgerechtigkeit hält er hingegen weniger. Die Wiederbelebung der Vermögensteuer lehnt er ab. Die noch offenen Fragen im Steuerprogramm müssten gemeinsam von beiden Flügeln gelöst werden, mahnt Özdemir.

Während der Rede von Özdemir machen sich seine beiden männlichen Mitbewerber Robert Habeck und Anton Hofreiter eifrig Notizen. Für Zwischenapplaus hat der Bundestagsfraktionschef deswegen zumeist keine Hände frei. Demonstrativ kollegial präsentieren sich hingegen die beiden Realos Habeck und Özdemir. Nach der Rede des schleswig-holsteinischen Umweltministers reicht der Parteivorsitzende ihm kurz die Hand. Später halten beide im Publikum ein kurzes Zwiegespräch. Habeck entwirft vor den Delegierten Ansätze seiner Idee einer neuen grünen »Bewegungspartei«. Diese solle sich aus seiner Sicht aber nicht wie in den 80er Jahren gegen die Institutionen richten, sondern für sie sein. Sein Ziel ist es, gesellschaftliche Mehrheiten zu erreichen. Als Beispiel nennt Habeck eine »grüne freiheitliche Sicherheitskultur«. In der Partei hatte es zuletzt vermehrt die Forderung nach einer größeren Polizeipräsenz auf Straßen und öffentlichen Plätzen gegeben. Die skeptische Haltung gegenüber der Polizei gehört bei den Grünen längst der Vergangenheit an.

Ohne Konkurrenz bei der Urwahl ist bislang Katrin Göring-Eckardt. Denn mindestens ein Platz im Spitzenkandidatenduo muss von einer Frau eingenommen werden. Parteichefin Simone Peter hat kurz vor dem Länderrat ihren Verzicht erklärt. Zudem stürzt die Brandenburger Basisgrüne Sonja Karas, die sich ebenfalls bewerben will, bei der Veranstaltung am Samstag von der Treppe und muss ins Krankenhaus gebracht werden.

Die Erfolge der rechten Konkurrenz machen auch den Grünen zu schaffen. Erst vor wenigen Tagen haben sie den Wiedereinzug in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern verpasst. Ebenso wie alle Redner vor ihr nennt Göring-Eckardt die AfD und die CSU unter der Führung von Horst Seehofer als größte Gefahren für die Zukunft dieses Landes. Allerdings ist sich die Kofraktionsvorsitzende im Bundestag mit Özdemir darin einig, dass sich die Grünen auch kritisch mit dem konservativen Islam auseinandersetzen müssten. Denn dessen Vertreter akzeptierten beispielsweise die Gleichberechtigung der Frauen nicht.

Den meisten Applaus beim Parteitag erhält der Parteilinke Anton Hofreiter, der mit rotem Kopf lautstark zur Verteidigung, aber auch zu einem kritischen Umgang mit der Europäischen Union aufruft, das Ende der Massentierhaltung fordert und sich für die Ehe von Homosexuellen einsetzt. Ob er sich letztlich auch bei der Urwahl durchsetzen kann, ist fraglich. Denn die Befragung der Basis kann zuweilen zu überraschenden Ergebnissen führen, wie einst der Sieg von Rudolf Scharping 1993 in der SPD oder auch der Erfolg von Göring-Eckardt vor vier Jahren bei den Grünen gezeigt haben.

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