Kurven des Grauens
Die BVG versucht ihren Straßenbahnen das Quietschen abzugewöhnen
Quieeeeetsch - Rumpelrumpel - Quieeeeetsch. Diese akustische Qual spielt sich fast 1000-mal täglich vor Frank Geislers Wohnung in der Wadzeckstraße in Mitte ab. Immer dann, wenn eine Straßenbahn von der Otto-Braun-Straße Richtung Alexanderplatz schwenkt, oder von dem Verkehrsknotenpunkt in Richtung der Plattenbaugebiete fährt. Schuld ist die enge S-Kurve, die die 1998 eröffnete Strecke beschreibt. Geisler ist schwer genervt. «Die Gegend um den Alexanderplatz hallt Tag und Nacht wider vom unerträglichen Kurvenquietschen der BVG-Trams», sagt er.
Sein Ärger fängt schon bei der Trassenfestlegung an. «Wie kann eine nicht mal 20 Jahre alte Strecke so kurvenreich angelegt werden», fragt sich der Diplomingenieur. Tatsächlich wurde die Streckenführung bereits zur Planungszeit von Fachleuten heftig gerügt. «Wir hatten schon damals davor gewarnt», sagt Christfried Tschepe, Vorsitzender des Berliner Fahrgastverbands IGEB. Die vielen Kurven sorgen nämlich nicht nur für Lärm. Sie verlängern auch die Fahrzeiten, was wiederum die Unterhaltungskosten erhöht. Erst kürzlich mussten zum wiederholten Male die Gleise in der Kurve ausgetauscht werden. «Für die Neubaustrecke über den Alexanderplatz wurde die Trasse auf die Kollhoffsche Städteplanung angepasst. Alle Einwände der BVG zu dieser Trassierung wurden nicht gehört, heißt es auch in einer Stellungnahme der BVG. Damals wäre noch eine vollkommen geradlinige Führung von der Mollstraße aus möglich gewesen, inzwischen stehen dort Häuser.
Erstaunlich findet Geisler auch, dass die Straßenbahnen für sein Empfinden immer lauter werden, je neuer der Typ ist. Das hängt vor allem damit zusammen, dass die Züge immer schwerer werden - umso größer werden die Kräfte, die wirken. Und ein Teil der Energie wird in Lärm umgewandelt. Selbst nachts quietscht im Schnitt alle 7,5 Minuten ein Zug vor Geislers Wohnung.
»Viele Dinge, die in der Technik allgemein üblich sind zur Lärmreduzierung, werden bei der Bahn leider nicht angewandt«, beklagt auch Professor Markus Hecht, Leiter des Fachgebiets Schienenfahrzeuge an der Technischen Universität. »Die Grenzwerte sind alle recht hoch.« Und wenn ein Betreiber einmal ausnahmsweise Wert auf niedrige Schallemissionen lege, dann lasse die Industrie sich das teuer bezahlen. Es spricht Bände, dass Bombardier, Hersteller der neuesten Berliner Straßenbahngeneration des Typs Flexity, gerade seine Akustikabteilung geschlossen hat.
Es ist jedoch Bewegung in die Sache gekommen. 24 Flexity-Züge sind bereits mit einer sogenannten Laufflächenkonditionierung ausgerüstet. Eine Emulsion wird vor jeder Kurve direkt auf die Räder aufgespritzt und soll das Reiben von Metall auf Metall deutlich reduzieren. Alle 66 noch zu liefernden neuen Straßenbahnen sollen damit ausgerüstet werden. »Das kostet momentan einen sechsstelligen Betrag pro Zug«, sagt Hecht. In der Serienfertigung ließe sich das seiner Ansicht nach auf eine fünfstellige Summe drücken. Nach Ansicht der BVG reicht eine Ausrüstung von rund der Hälfte der Züge, da die entsprechenden Stoffe in geringem Maße auf den Schienen verblieben. Die Umrüstung des in 90er Jahren bestellten dreiteiligen Vorgängermodells GT6 werde zurzeit vorbereitet. »Aufgrund der Komplexität des Umbaus wird die Realisierung noch einen gewissen Zeitraum benötigen«, heißt es bei der BVG.
»Besonders leise sind Bahnen mit Lenkachsen«, sagt Hecht. Solche Züge haben Wien und Zürich beschafft. Sie sind aber auch besonders teuer, so dass in beiden Städten die künftigen Typen ohne die Räder, die sich an den Kurvenverlauf anpassen, bestellt wurden. Um Klimaschutzziele zu erreichen, müsse aber beim Schienenlärm dringend etwas passieren, so Hecht. »Und zwar ohne Lärmschutzwände. Die finden alle furchtbar.«
»Das Kurvenquietschen ist ein großes Akzeptanzproblem für den Straßenbahnausbau«, sagt Christfried Tschepe vom Fahrgastverband. Auch die geplante Streckenverlängerung vom Hauptbahnhof zur Turmstraße in Moabit wird zwei enge Kurven haben. Es wäre schön, wenn die Anrainer nicht darunter leiden müssten.
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