»… die hier etwas ändern wollen«
Jurij Koch: Zum Achtzigsten ein neuer Band
Es tut gut, sich etwas vorzunehmen, und ist umso wichtiger gerade dann, wenn Müdigkeit droht. Nun darf man mit achtzig heutzutage meist noch auf weitere große Jubiläen hoffen. Und doch wird wohl das Bedürfnis größer, etwas festzuhalten von dem, was mit einem selbst verschwinden könnte.
2012 hat Jurij Koch unter dem Titel »Das Feuer im Spiegel« einen ersten Band mit Erinnerungen veröffentlicht. Als Kind hat er noch die Kriegszeit erlebt und in seinem Dorf Horka aus der Ferne das Feuer von Dresden beobachtet. Wir erfuhren, dass das Sorbische seit 1937 in der Öffentlichkeit verboten war, dass nach der Befreiung vom Hitlerfaschismus aber Hilfe von tschechischer Seite kam. In Varnsdorf wurde Jurij mit anderen Kindern in seiner Muttersprache unterrichtet und brauchte keinen Hunger mehr zu leiden.
Hier, im neuen, sich daran anschließenden Buch, bekommen wir zu lesen, was viele womöglich nicht wussten, dass nämlich der brandenburgische Landtagspräsident Friedrich Ebert (Sohn des gleichnamigen berühmten SPD-Manns) einer sorbischen Delegation eine Abfuhr erteilte: Die brandenburgische Arbeiterklasse sei nicht gewillt im Land »eine Treibhauspflanze aufzuziehen«. Ohne die sowjetische Besatzungsmacht wäre es mit der Unterdrückung des kleinsten aller slawischen Völker womöglich weitergegangen. Jurij Koch erzählt anschaulich, wie sorbische Gymnasien, sorbische Zeitschriften gegründet wurden und wie er sich selbst bald zu denen gehörig fühlte, »die hier etwas ändern wollen«.
Stalins Tod, der 17. Juni 1953, die Kollektivierung der Landwirtschaft in der DDR - entlang der Historie ranken sich viele persönliche Details. Jurij Koch hat den Bau des Kombinats »Schwarze Pumpe« miterlebt, und wir erfahren auch, woher der Name kommt. Doch das Hochgefühl währte nicht lang, denn für das »Schwarze Gold« war ein allzu hoher Preis zu zahlen, was die Obrigkeit in Berlin nicht so spürte, waren es doch nicht ihre Dörfer, die verschwanden, nicht ihre Tradition und Kultur, die da geopfert wurden.
Als Student hat Jurij Koch selbst im Lausitzer Tagebau »Lohsa zwei« gearbeitet, aber als er sein Stück »Landvermesser« 1977 auf die Bühne bringen wollte, wurde er zum »Fahndungsobjekt«. Wenn der Braunkohletagebau wirtschaftlich notwendig war, sollte doch nicht so ein Literat daherkommen, um öffentlich Zweifel zu säen. Zum Schriftstellerkongress 1987 fuhr er, um das »Maul aufzureißen«. Da sagten manche, dass man dem Koch ein »Windrad aufs Dach« setzten möge. »Soll er sehen, wie er zu Wärme und Licht kommt.« Nur Präsident Kant - er kann es ja nun nicht mehr lesen - habe ihn damals unterstützt: »Wir werden eines Tages froh sein, zu unseren Vergehen an der Natur nicht geschwiegen zu haben.«
Das Buch endet mit einem Blick aus dem Fenster des Arbeitszimmers. Bei gutem Wetter ist »das Windrad auf dem Bärenbrücker Hügel« zu sehen. Schließt sich so der Kreis? Wohl nur, was dieses Buch betrifft. Vieles gibt es, was noch erzählt werden kann. Dass Jurij Koch an die dreißig Bücher schrieb, hat er hier womöglich aus Bescheidenheit weggelassen. Vielleicht aber auch, weil noch viele Erzählungen über ihre Entstehung, ihre realen Hintergründe und ihr Echo sich in seinem Kopf irgendwann zu einem dritten Erinnerungsband verdichten sollen.
Jurij Koch: Windrad auf dem Dach. Erinnerungen. Domowina Verlag. 134 S., geb., 14,90 €.
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