»Die 30-Stunden-Woche ist machbar«
Gewerkschafterin und Vorstandsmitglied Ulrike Laux über Frauen auf dem Bau und die Gleichheit in der IG BAU
Schon Ihr familiäres Umfeld war ein gewerkschaftliches?
Mein Vater war aktives Mitglied der IG BAU. Er hatte Kfz-Mechaniker gelernt und ist dann als Lastwagenfahrer in eine Baufirma gegangen. Meine ältere Schwester war in der ÖTV, einer der Gründungsgewerkschaften von ver.di, deren Mitglied sie jetzt ist. Von daher komme ich aus einem Gewerkschaftsumfeld. Ich selbst habe mit 21 Jahren als Verwaltungsangestellte bei der IG BAU angefangen. Dann wollte ich auch ehrenamtlich tätig werden, habe mit der Jugendarbeit angefangen und wurde relativ schnell Jugendvorsitzende für den Bereich Limburg in Hessen.
Welchen Beruf haben Sie gelernt?
Bürokauffrau. Die ersten zwei Jahre nach der Ausbildung habe ich noch in meinem Ausbildungsbetrieb im Großhandel gearbeitet. Da war ich allerdings noch nicht gewerkschaftlich organisiert, weil das im Betrieb kein Thema war. Wir hatten zwar einen Betriebsrat, der meinte, jaja, mit der Gewerkschaft müsste man mal etwas machen. Passiert ist nichts. Erst mit dem Übergang in die IG BAU bin ich Gewerkschaftsmitglied geworden.
Ulrike Laux ist 56 Jahre alt. Geboren wurde sie in Weilburg an der Lahn, seit 2013 ist sie im Vorstand der IG Bauen-Agrar-Umwelt für das Gebäudereinigerhandwerk, den Dienstleistungsbereich der IG BAU sowie für Frauen- und Seniorenpolitik und Mitbestimmung zuständig. Laux kommt aus einer Gewerkschafterfamilie. Die Durchsetzung der 35-Stunden-Woche in den Achtzigerjahren hat sie neben dem Kampf für die Gleichstellung von Mann und Frau besonders geprägt. Der Frauenanteil in der IG BAU steigt seit einigen Jahren dank gezielter Initiativen.
Wie fing Ihre Politisierung an?
Mit der Jugendarbeit. Wir haben uns zunächst um Initiativen zur Jugendarbeitslosigkeit gekümmert. Wieso kommt die Jugendarbeitslosigkeit zustande? Wieso fehlen Ausbildungsplätze? Das war Anfang der 1980er Jahre ein großes Thema. Über den DGB habe ich zusätzlich Jugendbildungsarbeit gemacht. Und wenn du dich permanent mit den Themen auseinandersetzt, dann beginnst du irgendwann auch zu hinterfragen, warum die Situation der abhängig Beschäftigten so ist, wie sie ist und ob das wirklich unveränderlich ist. Letztlich bin ich zu dem Schluss gekommen, dass man etwas verändern muss.
Sie sind seit Jahrzehnten in der gewerkschaftlichen Frauenpolitik aktiv. Ging das Hand in Hand?
Das Schlüsselerlebnis war in den 1980er Jahren die Kampagne für die 35-Stunden-Woche zusammen mit der IG Metall. Ich habe Streikposten gestanden und die Auseinandersetzungen vor dem Werkstor mitbekommen. Im Zusammenhang mit den Arbeitszeitkämpfen ist mir das erste Mal bewusst geworden, wie viele Frauen, die mit Mitte 20 ein Kind bekommen, aus dem Berufsleben verschwanden oder nur noch Teilzeit arbeiten konnten. Wenn Frauen gesagt haben, ich muss jetzt weniger arbeiten, wurden sie auch von den qualifizierten Stellen genommen, in die Verwaltung gesetzt. Das hieß dann immer auch weniger Geld. Das alleine reichte mir schon! Wenn ich in der Buchhaltung bin, übe ich eine wichtige Tätigkeit fürs Unternehmen aus. Wieso verdiene ich weniger Geld? Mit 26 Jahren habe ich angefangen, Angestelltenarbeit zu machen, weil ich fand, dass Frauen an ihrer Rolle als Beschäftigte in schlechter bezahlten Bereichen etwas ändern mussten.
... also wegen Arbeitsrealität zur Feministin geworden.
Auch die Frauen aus dem feministischen Umfeld sind mit ihren Argumenten an Grenzen gestoßen, wenn sie plötzlich alleinerziehend waren oder der Mann arbeitslos. Als Frau stößt du da auf ganz andere Widerstände. Die Probleme sind heute ganz ähnliche wie in den 1980er und 90er Jahren. Deswegen fordern wir ja die gesetzliche Geschlechterquote. Zwei Dinge sind mir besonders aufgefallen. Zum einen bekamen die Kolleginnen nicht die gleichen Jobangebote wie die Kollegen, zum anderen haben sich viele Frauen selbst zurückgenommen und haben sich mit den schlechter bezahlten, geringer qualifizierten Jobs abgefunden. Insgesamt war es bei mir eine fließende Politisierung; von der Jugendarbeit zur Angestelltenarbeit zu den Frauen.
Wer waren ihre Vorbilder auf diesem Weg?
Ich bin so erzogen worden, dass es immer klar war, dass ich auf eigenen Füßen stehen muss. Mit Vorbildern tue ich mich ein bisschen schwer. Es gab sicherlich viele Kollegen in der Gewerkschaft, an denen ich mich orientiert habe. Aber ich habe auch viel gelesen. In den 1980er Jahren haben wir uns mit Rosa Luxemburg und Clara Zetkin auseinandergesetzt, und mich hat immer fasziniert, wie diese Frauen sich an die Spitze einer Bewegung gesetzt haben. Mir ist zudem in der politischen Zusammenarbeit mit SPD und Grünen aufgefallen, dass es oft besonders die Frauen waren, die Druck gemacht haben, die zum Beispiel gegen die Raketenstationierung in Westdeutschland mit ihren Kindern auf dem Arm mitgelaufen sind und da sehr selbstbewusst standen.
Sie waren dann als Sekretärin auch für die Baustellen zuständig.
Ja. Sie müssen wissen, damals war noch das Arbeitsverbot für Frauen auf Baustellen in Kraft. Das wurde erst 1994 aufgehoben. Die Arbeitsbedingungen sind ja auch krass. Anfangs habe ich das Verbot noch verstanden und auch lange mit getragen. Dann kamen aber die Kolleginnen aus der DDR zu uns. Das waren gelernte Maurerinnen, Krankführerinnen. Die haben immer auf Baustellen gearbeitet; wenn auch unter etwas anderen Bedingungen als im Westen. Als ich Gewerkschaftssekretärin war, wurde das Verbot immer öfter diskutiert, und wir mussten als IG BAU eine neue Position dazu finden. Die Kollegen auf der Baustelle haben sogar gehofft, dass sich ihre Arbeitsbedingungen verbessern, wenn Frauen auf den Baustellen arbeiten, weil die häufiger »Nein« sagen. Also nicht dieses typisch männliche »ich kann das alles heben«, sondern eher die Forderung nach einem Hilfsmittel, um die Knochen zu schonen. Das hat mich anfangs überrascht, aber nach der Diskussion kamen wir in der Gewerkschaft zu dem Schluss, dass das Verbot weg muss.
Wie waren denn ihre Erfahrungen in der Wendezeit?
Ich habe 1989 als Gewerkschaftssekretärin in Kassel erlebt. Das war schon heftig, als nach Mauerfall die Arbeitgeberseite gesagt hat: »Der Sozialismus saß bisher bei jeder Tarifverhandlung mit am Tisch, das hat sich jetzt erledigt.«
Ernsthaft?
Ja, ernsthaft. Andere Unternehmer haben in Betriebsversammlungen zu ihren Beschäftigten gesagt, dass sie sie nun nicht mehr bräuchten. Solche Aussagen haben mich wütend gemacht und zu dem Schluss gebracht, dass wir die Gewerkschaftsarbeit nur mit den Kolleginnen und Kollegen aus der DDR zusammen gestalten konnten - obwohl es da am Anfang auch Missverständnisse gab.
Beispiele bitte …
Einige der Kolleginnen haben gedacht, sie müssten nicht mehr arbeiten, wenn sie ein Kind bekommen haben. In der DDR gab es ja staatliche Unterstützung. Als sie dann gemerkt haben, wie schwer es ist mit Kind und Job, dass es keinen Pfennig vom Staat gibt, dass da nichts finanziell geregelt ist, waren sie ernüchtert. Wir haben den Kolleginnen gesagt, sie sollen für ihre Betriebskindergärten kämpfen, aber die wurden schneller geschlossen, als wir gucken konnten. Das war eine Riesenenttäuschung. Ich hatte damals gehofft, dass wir mit den neuen Kolleginnen neue Wege gehen können, aber die 1990er waren ja dann ganz anders. Da ging es um massenhaften Personalabbau ...
Was hat sich nach der Wende in der IG BAU konkret verändert?
Wir waren vorher bundesweit drei Gewerkschaftssekretärinnen, davon eine in der Verwaltung. Danach, mit den Kolleginnen aus dem Osten waren wir 14.
Wie sehen Sie heute die IG BAU? Der Eindruck ist, dass es noch immer reine Männerbranchen gibt.
Wir haben heute rund 25,4 Prozent weibliche Mitglieder, Tendenz weiter steigend. 2013 waren es noch 22 Prozent. Wir haben viel gearbeitet in den letzten Jahren. Nachdem wir Anfang der 1990er Jahre 14 waren, liefen die Diskussionen ganz anders, was auch den Kollegen aufgefallen ist. Es wurden mehr Frauen. Als viele dann wieder gegangen sind, entweder, weil sie Kinder hatten oder sich anders orientieren wollten - Gewerkschaftssekretärin ist ein fordernder Vollzeitjob -, war uns klar, dass wir die Kolleginnen besser unterstützen müssen, die Arbeitsbedingungen auch so anpassen, dass es für Frauen ansprechend ist. Wir haben gezielt Frauen angesprochen, beispielsweise zu Projekten in ihren Betrieben animiert. Jetzt im Jahr 2016 sind Frauen ein fester Bestandteil unserer ehrenamtlichen, aber auch unserer hauptamtlichen Struktur. Bei den GiA, Gewerkschaftssekretärinnen in Ausbildung, haben wir einen Anteil von 33 Prozent. Mittlerweile läuft das auch von selbst, spricht sich herum.
Ganz so toll, wie Sie es schildern, war es bei Ihrer Wahl in den Vorstand nicht. Damals hat die Bundesfrauenkonferenz sich bitter beschwert, dass keine Frau zur Wahl steht und das die Vorstandszusammensetzung nicht der Zusammensetzung der Mitgliedschaft entspricht. Ein Männerverein?
2013 war für uns ein entscheidendes Jahr, weil sich der Vorsitz in unserer Gewerkschaft nach vielen Jahren verändert hat. Letztlich haben alle über den neuen Vorsitzenden diskutiert. Besonders die Frauen haben betont, wie wichtig es ist, dass für die Zukunft mehr unterschiedliche Menschen zusammen diskutieren, also mehr Frauen oder Menschen mit Migrationshintergrund, oder homosexuelle Kolleginnen und Kollegen. Nur das bringt unsere Gesellschaft weiter. Es gab so viele interne Diskussionen über den neuen Vorsitzenden oder die Zukunft des wachsenden Dienstleistungsbereiches. Das hat alles ein bisschen überschattet. Ich glaube, letztlich haben wir die Kurve gekriegt.
Was halten Sie vom »Girl’s Day«?
»Neue Wege für Jungs« ... Das gibt es doch auch! Ich habe einen Sohn, der mittlerweile 20 Jahre alt ist. Der hat ab seinem 11. Lebensjahr »Neue Wege für Jungs« beschritten, also sogenannte Frauenberufe angeguckt. Das war für ihn sehr lehrreich. Ich finde den »Girl’s Day« nach wie vor sinnvoll, weil er uns daran erinnert, dass das immer noch nicht selbstverständlich ist. Wenn man mit jungen Frauen spricht, die das Studium beginnen, sagen die auf die Frage nach dem Fach noch immer oft Gesellschafts- oder Sozialwissenschaften. Warum nicht Maschinenbau? Sie könnten es, haben ein tolles Abitur. Es gibt da noch ein Hemmnis, wieso sie diesen Weg nicht gehen.
Und was ist dieses Hemmnis?
Es braucht ein gesellschaftliches Umdenken. Ich habe anfangs bei der Frauenquote in Vorständen und Aufsichtsräten gedacht, das betrifft unsere Frauen gar nicht. Aber jetzt haben wir viele Frauen in den Aufsichtsräten sitzen. Allein die Diskussion darum, dass die Männer ihre Pfründe aufgeben müssen, hat vieles aufgebrochen, viele Vorurteile, was Frauen können und was nicht, aus dem Weg geräumt.
Die Bundesfrauenkonferenz hat kürzlich gefordert, man müsse über die Arbeitszeit und das bedingungslose Grundeinkommen diskutieren. Das hat mich verwundert.
Warum das denn?
Naja, dass eine Gewerkschaft das Grundeinkommen fordert …
Es liegt doch auf der Hand. Wir haben immer noch überwiegend Frauen, die sich wegen Kindern zurücknehmen und dadurch weniger Einkommen haben. Der Einstieg in Beruf ist schwierig, viele Frauen verzichten durch Teilzeitstellen auf höhere Bezahlung, am Ende landen sie öfter in der Altersarmut. Wir müssen über beides reden: Grundeinkommen und Arbeitszeit. Wer acht oder zehn Stunden im Betrieb gearbeitet hat, bei dem hohen Leistungsdruck heute, ist ausgelaugt. Dann bilde ich mich nicht mehr fort oder engagiere mich in der Geflüchtetenhilfe, sondern ich bin fix und fertig. Das muss anders werden, und wir meinen: Neue Wege sind auch in der Arbeitszeit zu denken und die 30-Stunden-Woche ist machbar.
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