Versuchter Brückenschlag zur Entspannung
Außenminister Deutschlands und Frankreichs drängen auf politische Lösung des Ukrainekonfliktes
»Es hat seit Mitternacht kaum noch Verletzungen des Waffenstillstands gegeben«, lautete die vielleicht erfreulichste Botschaft des deutschen Außenministers am Donnerstag. »Natürlich ist es zu früh, daraus abzuleiten, dass das dauerhaft sein wird. Ob es gelingt, hängt nicht wesentlich an uns, sondern an der Bereitschaft der Konfliktparteien, sich zu bewegen«, erklärte Frank-Walter Steinmeier. Ziel sei ein dauerhafter Waffenstillstand. »Der Fortschritt bei der Umsetzung von Minsk war in diesem Jahr eine Schnecke - und sogar eine ziemlich langsame - und wir haben lernen müssen, dass Stillstand und Stagnation eben kein Beitrag zu besserer Sicherheit sind«, sagte er.
Wie weit es bis zu einem zuverlässigen Waffenstillstand und militärischen Schritten zur Entspannung noch sein kann, ließen mehrere vorherige Versuche und die Stunden vor Mitternacht erkennen. So berichteten Vertreter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) von Verstößen vor Beginn der Waffenruhe, die Konfliktparteien sprachen danach von einer brüchigen Feuerpause, habe es doch im Raum Awdijiwka auch nach Mitternacht einzelne Verstöße gegeben. Die UNO stufte die Lage im Konfliktgebiet laut AFP zwar als verbessert, aber weiterhin »sehr instabil« ein. Es gebe ein reelles Risiko, dass die Gewalt »jederzeit wieder eskaliert«, erklärte UN-Menschenrechtskommissar Zeid Ra›d Al Hussein.
Mit Blick auf die mit dem Ursprungsplan von 2015, die Feuerpause zu Beginn des neuen Schuljahres am 1. September und die soeben vereinbarte Waffenruhe fand dpa-Berichterstatter Christoph Sator zu diesem Vergleich: »Es ist wie mit den russischen Matrjoschka-Puppen, bei denen immer eine neue zum Vorschein kommt: die Waffenruhe in der Waffenruhe in der Waffenruhe. Aber vielleicht klappt es dieses Mal ja doch.« Wenn die neue Feuerpause hält, soll am Dienstag eine Vereinbarung unterzeichnet werden, in der sich beide Seiten dazu verpflichten, Truppen von der Konfliktlinie zurückzuziehen. Die OSZE soll dann zunächst an drei Orten kontrollieren, ob die Vereinbarung eingehalten wird.
Der französische Außenminister Jean-Marc Ayrault warnte, es gebe »keinen Plan B. Die Abkommen von Minsk müssen umgesetzt werden«. Doch Zweifel an einem Erfolg des deutsch-französischen Eingreifens bleiben angebracht. Denn ungeachtet der Zustimmung ihres Präsidenten Petro Poroschenko taten sich ukrainische Spitzenbeamte mit Einwänden hervor. Am Rande des gemeinsamen Besuches der vom Krieg gezeichneten Städte Slawjansk und Kramatorsk murrte Außenminister Pawlo Klimkin über eine drohende Legitimierung der prorussischen Regime im Donbass. Ohne die Gewährleistung von Sicherheit werde es jedenfalls »keinerlei weiteren Schritte« geben. Seinen Gästen hatte er versichert: »Ich glaube den Russen nicht.« Er räumte dann aber doch ein, »wir müssen trotzdem alles tun, um Minsk zu implementieren«.
Die stellvertretende ukrainische Parlamentsvorsitzende Irina Geraschtschenko versicherte laut örtlichen Medien, es gebe derzeit keine Voraussetzungen für die Debatte oder die Annahme irgendwelcher Beschlüsse über einen Sonderstatus des Donbass. Sie widersprach den Unterhändlern: Diese wollten einen größeren Fortschritt bei der Erfüllung der Minsker Vereinbarungen besonders im politischen Teil, die ukrainische Seite spreche jedoch von einer notwendigen »logischen Folgerichtigkeit der Schritte«.
Von einer »Kapitulation Poroschenkos« berichtete hingegen das Webportal des früheren ukrainischen Premierministers Nikolai Asarow, der im russischen Exil lebt. »Die Botschafter Frankreichs und Deutschlands zwingen Kiew, Minsk-2 zu den Bedingungen Russlands zu erfüllen«, hieß es dort. »Die Ukraine muss ihre Verpflichtungen erfüllen«, wurde der französische Außenminister interpretiert und auch auf eine Aussage des deutschen verwiesen: Die Punkte zur Sicherheit müssten parallel mit den politischen erfüllt werden.
Auf die Notwendigkeit direkter Verhandlungen zwischen Kiew und den »Volksrepubliken« der Ostukraine über die Verfassungsänderung verwiesen derweil Moskauer Experten. Die Wirtschaftsblockade des Donbass müsse aufgehoben werden.
»Wir werden uns bemühen, die bestehenden Unterschiede zwischen Russland und der Ukraine zu einer Lösung zu bringen«, versicherte Steinmeier. Ayrault brachte ein Gipfeltreffen zwischen Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine »so bald wie möglich« ins Spiel. Aus Moskau hieß es dazu, Präsident Wladimir Putin sei zu erneuten Verhandlungen auch schon im Oktober bereit. »Es muss aber über die konkrete Umsetzung des Minsker Friedensabkommens gesprochen werden«, verlangte Kremlsprecher Dmitri Peskow.
Einen Beitrag eigener Art steuerte die EU bei. Verlängert wurden ihre Sanktionen gegen Separatisten in der Ostukraine sowie Vertraute Präsident Wladimir Putins um weitere sechs Monate. Wie der EU-Rat mitteilte, werden Einreise- und Vermögenssperren gegen 146 Russen und Ukrainer bis Mitte März 2017 beibehalten. Bestehen bleiben Kontensperrungen für 37 Unternehmen und Organisationen, die zur Eskalation des Konflikts beigetragen haben sollen. Die Überprüfung der Situation habe »keine Änderung der Sanktionsregelung« oder der Liste der Betroffenen zugelassen, hieß es. Ohne Verlängerungsbeschluss wären die Strafmaßnahmen Donnerstag ausgelaufen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.