Kampf der zwei Geister
Matteo Renzi kritisiert Ergebnisse des Bratislava-Gipfels / EU-Staaten kündigen Ausbau der Grenzsicherung in Bulgarien an
Möglicherweise verspürte Matteo Renzi am Freitag in Bratislava noch den »Geist von Athen«, als der italienische Ministerpräsident sich weigerte, zusammen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und François Hollande vor die Presse zu treten. In Athen waren eine Woche zuvor die europäischen Mittelmeerstaaten zu einem Gipfel auf Einladung des linken griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras zusammengekommen. Das Ziel: die Bildung einer Südachse, die andere Akzente setzt als das von Deutschland dominierte EU-Europa der Austerität.
Renzi begründete seinen Schritt, nicht an der gemeinsamen Pressekonferenz teilzunehmen, am Samstag bei einer Konferenz in Florenz. Er sei mit den Ergebnissen des EU-Treffens in Bratislava gar nicht zufrieden. In Bratislava seien »mehr oder weniger die gleichen Sachen« gesagt worden wie bei vorherigen Treffen, sagte er. Italiens Regierungschef kritisierte erneut die von der EU verfolgte Sparpolitik als »falsches Rezept«. Italien halte sich zwar an den Stabilitätspakt, dürfe aber auch sagen, dass dessen Regeln »nicht funktionieren«.
Völlig unzureichend seien zudem die Ergebnisse in der Flüchtlingspolitik. Angesichts der für sein Land drängenden Flüchtlingsfrage sagte er: »Ich glaube nicht, dass es richtig ist, wenn Italien so tut, als wenn nichts wäre, während sich die Dinge nicht verbessern«, sagte er. Renzi sieht Italien in der Flüchtlingskrise auf sich selbst gestellt und seine Lösungsvorschläge nicht ausreichend berücksichtigt. So richtig es sei, alle Menschen aus dem Meer zu retten, so wenig sei es möglich, alle Menschen nur in Apulien oder auf Sizilien unterzubringen, ergänzte er.
»Entweder akzeptiert man die italienische These und geht nach Afrika, schließt internationale Kooperationsabkommen und hält die Menschen auf, indem Entwicklungsmöglichkeiten geschaffen werden, oder man erklärt einfach, dass man dabei ist, Zeit zu verlieren«, kritisierte Renzi. In dem in Bratislava vorgelegten Papier sei nicht einmal die Rede von Afrika gewesen.
Auch der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán kritisierte die Resultate des Gipfels. Er bezeichnete das Treffen von Bratislava als Misserfolg. »Er war insofern erfolglos, als dass es nicht gelungen ist, die Einwanderungspolitik Brüssels zu ändern«, sagte der rechts-konservative Politiker.
In Bratislava wollten die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten drei Monate nach dem Brexit-Votum den Neustart wagen - ohne die Briten. Dazu einigten sie sich auf dem informellen Treffen auf einen »Fahrplan« für konkrete Projekte in den kommenden Monaten. Sie wollen damit den Bürgern »die Vision einer attraktiven EU« zurückbringen und Populisten das Wasser abgraben. In ihrem »Fahrplan« einigten sich die 27 Länder unter anderem auf mehr Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus, verschärften Grenzschutz, die Stärkung der europäischen Verteidigung und die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen insbesondere für junge Menschen. Die Ziele sollen nun Monat für Monat abgearbeitet werden. Es gehe darum, »durch Taten zu zeigen, dass wir unseren Anspruch für die Bürgerinnen und Bürger auch nachvollziehbar umsetzen«, sagte die deutsche Bundeskanzlerin bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Frankreichs Präsident Hollande. Deutschland und Frankreich wollten sich dabei auch in den kommenden Monaten »sehr intensiv einbringen, um das alles zum Erfolg zu führen«. Um einen Konsens über die langfristige Migrationspolitik zu bekommen, müssten jedoch weitere Anstrengungen unternommen werden, sagte Merkel.
EU-Ratspräsident Donald Tusk betonte, die vollständige Kontrolle über die EU-Grenzen habe absolute Priorität. »Einer der wichtigsten Punkte« in Bratislava sei die Verbesserung des Grenzschutzes in Bulgarien gewesen. Befürchtet wird in der EU, dass sich Tausende, wegen der gesperrten Westbalkanroute in Griechenland festsitzende Flüchtlinge über das Land Richtung Nordeuropa auf den Weg machen.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kündigte an, 200 weitere Grenzschützer und 50 Fahrzeuge würden in Kürze nach Bulgarien geschickt, außerdem würden dem Land insgesamt 160 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. »Wir werden Bulgarien nicht im Stich lassen«, versprach Juncker.
Insgesamt zufrieden zeigte sich Angela Merkel mit den Ergebnissen des Gipfels. Sie bezeichnete das Treffen als möglichen Ausgangspunkt für eine bessere Kooperation in der EU: »Der Geist von Bratislava war ein Geist der Zusammenarbeit«. Ob dieser Geist seine Bestätigung findet, wird man Anfang 2017 sehen. Dann ist ein weiterer informeller Gipfel in Malta geplant. Indes: Auch Renzi hat zu einem weiteren Südgipfel nach Rom eingeladen. Mit Agenturen
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