Trinken gegen den Terror
Das Münchner Oktoberfest steht heuer ganz im Zeichen der Sicherheit
Wer wissen will, was Terror ist, kann dies am Haupteingang des Münchner Oktoberfestes erfahren. Dort steht das Denkmal für die Opfer des Bombenattentats von 1980: Eine 2,70 Meter hohe halbrunde Stahlwand mit Durchbohrungen sowie eine Stele mit den Namen der 13 Todesopfer. Die Rohrbombe stammte von einem Nazi.
36 Jahre später findet das größte Volksfest der Welt unter verschärften Sicherheitsbedingungen statt. Als Reaktion auf jüngste Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund und einem Amoklauf in München wurde die Wiesn eingezäunt, ein Rucksackverbot erlassen und werden nun Eingangskontrollen durchgeführt. 2016: Ein Oktoberfest im Ausnahmezustand.
Früher hieß das Toilettenhäuschen auf der Verkehrsinsel gegenüber dem Wiesn-Haupteingang unter den Taxifahrern »Brausebad«, weil der achteckige Bau bei seiner Eröffnung 1894 als Volksbrausebad diente. Heute hat das Gebäude mit seinem Portikus eine neue Bedeutung. »Gepäckaufbewahrung« ist auf einem Transparent zu lesen. Drinnen kann man seinen Koffer für acht Euro am Tag deponieren (Rucksack: 5 Euro). Derlei Etablissements gibt es heuer rund um die ganze Wiesn, neudeutsch auch unter der Bezeichnung »mobile events locker«, das sind Lkw mit Schließfächern.
Warum diese Aufbewahrungsmöglichkeiten notwendig geworden sind, das erfährt man, will man auf das Gelände des Oktoberfestes gelangen. Es ist Nachmittag und ein leichter Nieselregen geht über die weißblaue Landeshauptstadt nieder. Am Wiesn-Eingang auf der Bavariahöhe zeigt die Polizei Präsenz: Vier Mannschaftswagen sind dort geparkt, auf der Zufahrtsstraße stehen diverse Beamte mit schwarzen Uniformen und beobachten das Geschehen. Der Eingang selbst wird von Mitgliedern eines Sicherheitsdienstes mit gelben Westen kontrolliert. Wer rein will, muss seine Jacke öffnen, kleinere Taschen werden durchsucht. Wer mit Trambahn oder U-Bahn kam, der weiß Bescheid: »Bitte beachten Sie, dass Rucksäcke und größere Taschen auf dem Oktoberfest verboten sind. Rechnen Sie zudem mit Wartezeiten wegen Einlasskontrollen«, ist auf den elektronischen Schriftbändern an den Haltestellen zu lesen. Was erlaubt und was verboten ist, hat Wiesn-Bürgermeister Josef Schmid so auf den Punkt gebracht: Passen drei Milchtüten in den Rucksack hinein, ist der zu groß und sollte am besten gleich zu Hause bleiben. In der Tat weisen die Sicherheitsleute einige Besucher wegen der zu großen Taschen ab und zeigen in Richtung der Aufbewahrungsorte.
Hat man hier nahe der Bavaria die Eingangskontrolle hinter sich gebracht, ist das Schützenzelt der erste Biertempel, den man linker Hand passiert. Dort ist die nächste Schleuse: Rein kommt man nur, wenn der Mann vom Sicherheitsdienst sein Okay gibt. Die Gäste werden jetzt schon beim Betreten des Außenbereichs kontrolliert, pro Zelt sind bis zu 135 Personen in verschiedenen Schichten im Einsatz. »Wir schauen nicht gerne in die Taschen unserer Gäste, aber wenn es wegen der Sicherheit sein muss, machen wir es«, hat der Wirt des Schottenhammel-Zelts erklärt. Im Hofbräu-Zelt haben sie heuer zudem 26 Überwachungskameras montiert, die Aufzeichnungen werden eineinhalb Jahre lang aufgehoben und dann gelöscht.
Trotz Eingangskontrollen und Sprühregen - die Stimmung auf dem Oktoberfest scheint das nicht zu beeinträchtigen. »Nein«, sagt Ellen Koloska, »wir haben kein schlechtes Gefühl.« Zusammen mit ihrem Mann hat sie am traditionellen Trachtenzug teilgenommen, das Ehepaar ist Mitglied in der Volkstanzgruppe der fränkischen Stadt Gefrees. Zur Tracht gehört bei ihr auch ein Körbchen, »ja«, sagt sie, das sei schon kontrolliert worden, aber man fühle sich nicht belästigt.
So gegen 16 Uhr steigt auch in den Bierzelten die Stimmung, in den Außenbereichen gäbe es noch genügend Platz, weil es aber regnet, drängen die Leute nach innen. Die Musik spielt und Maßkrüge werden durch die Gegend geschleppt und geleert. Vor weniger als 24 Stunden hat hier unmittelbar nach dem Anstich durch den Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) eine BR-Reporterin den bemerkenswerten Satz gesagt: »Das ist wie ein magischer Moment, wenn man sich vorstellt, dass durch tausende Kehlen jetzt auf dem Oktoberfest das Bier läuft.« An diesem Wochenende sind es ein paar tausend Kehlen weniger, statt einer Million wie in den vergangenen Jahren sind nur eine halbe Million Besucher auf die Wiesn gekommen. Vielleicht wegen des Wetters oder auch wegen der Sicherheitsvorkehrungen. Mit dabei sind jedenfalls Andrea und Korinna, die beiden jungen Frauen spielen Tenorsaxofon in der Stadtkapelle von Germering und auch sie sind beim Trachtenzug mitgegangen. »Die Stimmung ist gut«, sagt Korinna, die schon seit Jahrzehnten die Wiesn besucht. »Die Polizei zeigt Präsenz und wir fühlen uns sicher«, meint die Musikerin.
Das gilt auch für Angelika und Jahn, ein Pärchen aus Dortmund, das mit dem Wohnmobil unterwegs ist, München ist der letzte Stop der Reise. Mit dabei ist auch das elf Monate alte Baby, das Angelika in einem Tuch vor der Brust trägt. Sie ist zum ersten Mal auf der Wiesn und hat sich keine Gedanken hinsichtlich der Sicherheitslage gemacht, Partner Jahn aber schon: »Ich habe davon gelesen und mir schon Sorgen gemacht«, sagt er. Die Kontrollen am Eingang fanden sie in Ordnung.
Zu den neuen Sicherheitsvorkehrungen für das Oktoberfest gehört auch die vollständige Einzäunung. Bereits seit einigen Jahren war ein Teil der Wiesn von einem Bauzaun umgeben gewesen. Und der Zaun, der das heuer (alle vier Jahre) stattfindende Landwirtschaftsfest umgibt, ist sogar mit einem Stacheldraht versehen, vielleicht, damit niemand die Ochsen und anderen Rindviecher klaut. Wirklich neu ist also nur der High-Tech-Zaun im Westen der Wiesn in Richtung Schwanthaler Höhe. Dort sind auf einer Länge von 350 Metern neun sogenannte Secu-Fence-Boxen aufgestellt. Der Zaun soll bei Panik von den Ordnern innerhalb einer Minute eingerollt werden können. Ohne den Zaun gäbe es an dieser Stelle eine »offene Flanke«, so Münchens Polizeichef Hubertus Andrä.
Im Laufe des Nachmittags mehrt sich auf der Theresienwiese mittlerweile die Zahl derer, die zu viel getrunken haben. Es ist gegen 16.45 Uhr, als vor dem Bierzelt der »Ochsenbraterei« ein junger Mann mit Lederhose auf dem Boden liegt. Er blutet aus einer Kopfwunde und ist nicht ansprechbar, vor ihm liegen Pommes Frites auf dem Boden. Andere Wiesn-Bewohner halten ihre Regenschirme über den Mann, einer misst den Puls. »Warum kommt denn der Sanka nicht?«, fragt besorgt ein anderer. Es ist jetzt schon zehn Minuten her, seit ein Ordner den Vorfall über sein Handy gemeldet hat. Eigentlich schon eine lange Zeit für eine Wiesn mit derartigen Sicherheitsvorkehrungen wie heute. Doch dann naht der Notarzt mit den Sanitätern und der Rettungsliege.
Die vollständige Umzäunung der Wiesn ist der bisherige Höhepunkt einer Entwicklung, die bereits 2011 begann. Damals ließ die Stadt die Zugänge zum Oktoberfest mit 180 versenkbaren Pollern aus Stahl sichern, Kosten: 3,3 Millionen Euro. Damit sollten Attentäter abgehalten werden, mit Fahrzeugen in die Menschenmenge zu fahren. Das jetzige Rucksackverbot hat wiederum mit den Anschlägen von Würzburg und Ansbach sowie dem Amoklauf im Münchener Olympia-Zentrum zu tun: Alle drei Täter führten ihre Waffen in einem Rucksack mit sich.
Sicherheitsbedenken, das trieb auch die Unternehmerin Regine Sixt um, als sie ihre bei der Münchner Schickeria so beliebte »Damenwiesn« absagte, das Risiko sei zu groß. Und auch dem Münchner Kabarettisten Christian Springer (»Fonsi«) ist Bange - allerdings um die Zahl der Besucher. Er fürchtet, dass die Terrorangst die Leute vom Wiesn-Besuch abhalten könnte, was einer Kapitulation gleichkäme. Unter dem Motto »Trotzdem« hat er eine Pro-Wiesn-Aktion gestartet und ließ sich dafür mit einem Lebkuchenherz ablichten. Darauf die prägnante Aufschrift aus Zuckerguss: »I geh. Du aa?« (Übersetzung: Ich gehe. Du auch?).
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