Eine Gratwanderung und die Frage linker Solidarität
Die Strategie der Kurden in Syrien ist nicht ohne Risiken – doch bislang funktioniert sie. Die »antiimperialistische« Kritik liegt falsch. Ein Kommentar
War noch während der Belagerung der symbolträchtigen Stadt Kobane durch den Islamischen Staat in der internationalen Linken ein regelrechter Hype der kurdischen Befreiungsbewegung zu beobachten, werden nun Stimmen lauter, die den syrischen Kurden die Solidariät aufkündigen.
Die militärische Koordination zwischen den syrisch-kurdischen Kräften rund um die Partei der Demokratischen Union (PYD) und den USA hat in Teilen der internationalen Linken Skepsis aufkommen lassen: Wie können wir uns positiv auf eine Kraft beziehen, die mit jenem imperialistischen Land zusammenarbeitet, das an den Verwerfungen im Mittleren Osten einen unbestreitbar großen Anteil hat?
Jene, die das taktische Bündnis zwischen Washington und den kurdischen Milizen als »Verrat« werten, argumentieren: Das Problem der Einmischung externer Kräfte in Syrien ist eine der zentralen Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt. Das gehe nicht, wenn man sich zur »Marionette« einer der intervenierenden Mächte mache.
So richtig diese Feststellung ist, so falsch ist die Auffassung, die Kurden hätten sich zu irgendjemandes Proxy-Miliz machen lassen. Im Gegenteil. Anders als etwa Assads Verhältnis zu Russland und dem Iran oder die Abhängigkeit diverser dschihadistischer Milizen von der Türkei, Katar, Saudi-Arabien oder den USA haben die Kräfte der kurdischen Befreiungsbewegung durch ihre Bündnispolitik ihre Eigenständigkeit nicht verkauft, sondern sie mehr und mehr entwickelt.
Was die PYD und ihr bewaffneter Arm tut, beschreibt Can Polat, Sprecher der Volksverteidigungseinheiten (YPG) so: »Vor allem anderen muss die Welt verstehen, dass wir niemandes Fußsoldaten sind. Wir sind nicht irgendeine paramilitärische Truppe. Wir kämpfen für die Rechte des kurdischen Volkes und aller Völker Syriens.« Um dieses Ziel erreichen zu können, sei man Bündnisse eingegangen. Doch diese Bündnisse – so Polat mit Blick auf die USA – »bedeuten nicht, das wir aufhören, unsere eigene Politik zu verfolgen«.
Tatsächlich versuchen PKK und YPG im Kräftediagramm des syrischen Krieges so zu handeln, dass sie möglichst viele ihrer aktuellen oder potentiellen Gegner gegeneinander ausspielen. Zur selben Zeit, als sie in Hasakah gegen Assad-Kräfte kämpften, gingen sie kaum 400 Kilometer entfernt zusammen mit den Regierungstruppen gemeinsam gegen dschihadistische Terrorgruppen vor. Zur selben Zeit, als sie mit den USA Luftschläge gegen den IS koordinierten, eröffneten sie in Moskau ein diplomatisches Verbindungsbüro. Als die YPG zusammen mit Jaish al-Suwar den Flughafen von Menagh den mit der Türkei verbündeten Islamisten von Ahrar al-Sham abnahmen, waren es wiederum russische Luftschläge, die den Weg bereiteten. »Die höchste Form der militärischen Führerschaft ist, die Pläne des Feindes zu durchkreuzen; die nächstbeste, die Vereinigung der feindlichen Streitkräfte zu verhindern«, schreibt Sun Tzu in seiner Kunst des Krieges.
Noch unverständlicher ist die linke, »antiimperialistische« Kritik an den Kurden, zieht man jenseits von geostrategischen und militärischen Gesichtspunkten die gesellschaftspolitischen Entwürfe der Akteure in Betracht. Im Wesentlichen sind es drei politische Projekte, die wir heute zwischen Damaskus und Raqqa um ihre Verwirklichung konkurrieren sehen: das der Assad-Regierung; das der zahlreichen dschihadistischen Gruppierungen von Islamischer Staat bis Ahrar al-Sham; das der kurdischen Befreiungsbewegung rund um die Partei der Demokratischen Union (PYD). Sicher gibt es auch im Bereich jener Kräfte, die sich einst als Freie Syrische Armee (FSA) konstituierten sowie lokaler Strukturen noch andere Kräfte, aber sie sind völlig marginalisiert und könnten ohnehin nur im Verbund mit einer der drei Hauptkräfte ihre Ziele verwirklichen.
Die entscheidende Frage ist: Welche politische Idee ist überhaupt in der Lage, eine eigenständige, demokratische Entwicklung in Syrien einzuleiten?
Die größeren und kleineren sunnitischen Dschihadisten-Gruppen sind es nicht. Ihre gemeinsame Idee eines islamischen Staatswesens auf Grundlage einer engen Auslegung der Scharia wird gegen nicht geringe Teile der Bevölkerung nur durch Mord und Repression durchsetzbar sein. Zudem befinden sich viele von ihnen in direkter Abhängigkeit von Staaten wie der Türkei, Saudi-Arabien, Katar oder den USA.
Dass Baschar al-Assad noch einmal die Zustimmung der Mehrheit aller Syrer findet, ist angesichts der Brutalität, mit der seine Armee den Krieg geführt hat, unwahrscheinlich. Dazu kommt: Selbst, wenn er es könnte, wäre es kein Beginn einer genuin eigenständigen Entwicklung. Zumindest Russland und der Iran würden sich ihre kostspielige Mithilfe auf und jenseits des Schlachtfeldes sicherlich auf die eine oder andere Art vergelten lassen. Bereits vor der Eskalation des Konflikts stand die Regierung in Damaskus auch für Privatisierungen und neoliberalen Umbau.
Dagegen ist der »demokratische Konföderalismus«, den die kurdische Befreiungsbewegung vorschlägt zumindest potentiell ein Konzept für ein geeintes, eigenständiges und demokratisches Syrien, in dem verschiedenen Stammes- und Religionsgruppen auch die Möglichkeit einer selbstorganisierten Verwaltung ihrer Angelegenheiten eröffnet wird. Eine politische Idee, die auch das Ende des äußeren Einflusses auf das geostrategisch so bedeutende Land beenden kann, muss die Besonderheiten der lokalen Gesellschaften anerkennen und ihnen einen kollektiven Ausdruck geben.
Im Gespräch mit dem Autor beschrieb Bese Hozat, Kovorsitzende der Union der Gemeinschaften Kurdistans (KCK), den Grundgedanken so: »Unser demokratisches konföderales System verwirklicht einen Gesellschaftsentwurf, der sich aus der Kritik an der Nationalstaatlichkeit entwickelt. Wir denken, dass eine solche Struktur die Völker, ihre Kultur, ihre Geschichte, ihre Geographie vernichtet. Wir glauben, dass das demokratische konföderale System die beste Alternative dazu ist, die auch der Geschichte und Kultur der Region entspricht. Deshalb haben wir die große Möglichkeit, es ins Leben zu rufen. Das demokratisch-konföderale Gesellschaftssystem in Rojava ist das lebendigste Beispiel dafür. Zur Zeit leben dort Kurden, Türken, Araber, Turkmenen, Assyrer, Armenier, sogar Tscherkessen, Tschetschenen mit ihren eigenen Identitäten, Kulturen und Sprachen demokratisch und frei zusammen und regieren sich selbst.«
Der Kampf um die Errichtung eines solchen Systems ist – wegen der schwierigen Ausgangslage in Syrien – eine Gratwanderung. Imperialistische Staaten handeln nicht aus Nächstenliebe und Humanität, sondern aus Interessen. Und der Zeitpunkt wird kommen, da diese Interessen denen der kurdischen Bewegung antagonistisch entgegen stehen. Doch genau in diesem Fall brauchen die Genossinnen und Genossen in Syrien mehr an internationaler Solidarität von unten.
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