Abgeschnitten vom VW-Geldhahn

Der Abgas-Skandal bei Volkswagen treibt die Alltagskosten der Menschen in vielen Werkstandorten in die Höhe

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Den VW-Konzern nimmt sich wohl jede Stadt gerne zum Steuerzahler - in guten Zeiten zumindest. Doch nun setzt die Abgas-Krise dem Autobauer heftig zu. Zweistellige Milliardensummen haben die Wolfsburger schon zurückgestellt für Vergleiche mit Kunden oder US-Behörden, 2015 schrieb Volkswagen wegen des Skandals den höchsten Verlust seiner Firmengeschichte. Auch die Gewerbesteuerzahlungen von VW an den 28 deutschen Standorten brechen ein. Es geht um Hunderte Millionen Euro.

Die Folgen sind drastisch. Haushaltslöcher tun sich auf, mancherorts sind es wahre Krater. Etliche VW-Städte setzen daher Gebühren herauf, für Familien kann es bei den Mehrkosten um vierstellige Summen pro Jahr gehen. Die Krise bei VW wächst sich auch aus zur Last für die Bürger an den VW-Standorten.

Zum Beispiel in Sachsen: In Chemnitz, einem der drei VW-Standorte im Freistaat, rechnet die Stadt für 2016 mit sechs Millionen Euro weniger Einnahmen als eigentlich geplant. »Der VW-Konzern ist für die Stadt Chemnitz von wichtiger Bedeutung«, sagt Stadtkämmerer Sven Schulze. Konkrete Angaben macht er mit Verweis auf das Steuergeheimnis nicht. Für 2016 rechnet der Stadtkämmerer jedoch insgesamt mit einem Fehlbetrag von rund 11,8 Millionen Euro. Eine Haushaltssperre oder ein Einstellungsstopp seien aber nicht geplant, auch nicht die Erhöhung der Hebesätze. Durch die niedrigen Energiepreise etwa könne die Kommune an anderer Stelle vorerst sparen.

Das größte sächsische VW-Werk steht in Zwickau. Ende Juni trennte sich Volkswagen Sachsen dort von knapp 700 Leiharbeitern und befristet Beschäftigten. Nach der Diesel-Affäre verhängte Zwickau mit Blick auf zu erwartende Steuerausfälle zunächst eine Haushaltssperre, hob diese jedoch Ende 2015 wieder auf. Durch Steuernachzahlungen aus den vergangenen Jahren habe man das Defizit ausgleichen können, hieß es. Dennoch trifft der VW-Skandal die Stadt: Waren für 2016 eigentlich 47,5 Millionen Euro Einnahmen aus Gewerbesteuern geplant, musste das auf 35 Millionen korrigiert werden. Unter anderem muss nun die Sanierung einer Schule verschoben werden.

Im niedersächsischen Wolfsburg, wo es neben dem VW-Stammwerk auch besonders viele Zulieferer und VW-Dienstleister gibt, wurden zahlreiche Gebühren heraufgesetzt. So steigen die Elternbeiträge zur Kinderbetreuung für Besserverdienende. 720 000 Euro soll das pro Jahr bringen. Die Steuer für den ersten Hund steigt um 20 Prozent auf 96 Euro, für einen zweiten oder dritten Hund sogar um 24 Prozent auf 144 und 168 Euro. Der Gewerbesteuerhebesatz, zuletzt erhöht 1980, soll nicht steigen, um die örtliche Wirtschaft gerade in den aktuell schwierigen Zeiten nicht noch weiter zu belasten. Jedoch steigt die Grundsteuer A (Land- und Forstwirtschaft) von 270 auf 320 Punkte, der Hebesatz bei der Grundsteuer B (bebauter oder unbebauter Grundbesitz) zieht um 30 Punkte auf 450 an. Die letzte Anpassung liegt gut 20 Jahre zurück.

Wer sein Auto in der Wolfsburger Innenstadt auf städtischen Parkflächen abstellt, muss mehr bezahlen - 10 Cent pro Stunde. Ebenso wird das Baden teurer: Für das Freibad Fallersleben und das VW-Bad zahlen Erwachsene 3,50 Euro statt bisher 3,20 Euro. Saisonkarten für Erwachsene verteuern sich von 75 auf 85 Euro. Für Kinder und Jugendliche aber bleiben die Preise konstant. Ähnlich angespannt wie in Wolfsburg ist die Lage an den anderen niedersächsischen Standorten wie Braunschweig, Osnabrück und Salzgitter.

Auch für den bayerischen Standort Ingolstadt bedeutet der Diesel-Skandal das Ende der fetten Jahre - nur noch 60 Prozent des langjährigen Gewerbesteuer-Durchschnitts hält der Leiter der Kämmerei, Franz Fleckinger, für realistisch. Daher geht es wohl bald ans Finanzpolster. Die Vorauszahlungen habe der VW-Konzern schon Ende 2015 auf Null gestellt, sagt der Ingolstädter Stadtrat Hans-Joachim Werner. Aber im laufenden Jahr sehe es noch gut aus, meint Fleckinger. Die Stadt hat eine Haushaltssperre von 15 Prozent für bestimmte Ausgaben erlassen; Bauinvestitionen, Straßenbau, Personal- und Sachausgaben sind gedeckelt. Aber es gibt keinen Einstellungsstopp, das neue Kunstmuseum kommt wie geplant, und das Hallenbad »ist eben neu eingeweiht. Wir jammern schon auf hohem Niveau«, sagt SPD-Fraktionschef Werner.

Im baden-württembergischen Weißbach - dort steht das Forschungszentrum der VW-Tochter Porsche - gibt es in diesem Jahr zwar noch keine Haushaltssperre, wie Kämmerin Karin Richter sagt. Doch nach fast 40 Millionen Euro 2015 rechnet die Gemeinde in diesem Jahr nur noch mit Gewerbesteuereinnahmen von 1,5 Millionen Euro. Grund ist der Komplettausfall der Gewerbesteuern von Volkswagen. dpa/nd

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