Türkische Regierung legt oppositionelle Fernsehsender still
Razzien und Festnahmen bei mehreren regierungskritischen Redaktionen / Schließung von 23 Sendern angeordnet
Berlin. Die türkische Polizei stürmte am Dienstag mehrere regierungskritische Radio- und Fernsehsender. Betroffen sind der alevitische Sender Hayatın Sesi TV, der Oppositionssender IMC TV sowie der Radiosender Özgür Radyo (»Freies Radio«). Die Ausstrahlungen wurden gestoppt.
»Hätten die betroffenen Medien ihre Prinzipien verkauft, würden sie nun Minister besuchen, anstatt Polizisten«, erklärte der Ko-Vorsitzende Selahattin Demirtas der linken und prokurdischen»Demokratischen Partei der Völker« (HDP). Für ihn gebe es mittlerweile nur noch zwei Parteien im türkischen Parlament: Die oppositionelle HDP und »den Rest«. Auf Twitter schrieb er ernüchtert: »Es gibt kein Medium mehr, um über diese wichtige Rede zu berichten«.
IMC TV war für seine ausführliche Berichterstattung über die Angriffe der türkischen Regierung auf die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und kurdische Städte im Südosten der Türkei bekannt. Bereits im Februar hatten türkische Behörden die Sendelizenz entzogen. Am Dienstag sind Polizisten in die Räume der Istanbuler Redaktion eingedrungen und beendeten alle Ausstrahlungen. »Die Pressefreiheit in der Türkei stand schon lange unter Druck, aber jetzt wurde ihr das Rückgrat endgültig gebrochen«, sagte IMC-Nachrichtenredakteur Hamza Aktan der Deutschen Presse-Agentur am Montag. »#Erdogan hat heute mit der Schließung des Senders IMC TV der #Pressefreiheit in der #Türkei das Rückgrat gebrochen«, kommentierte auch die LNKE-Chefin Katja Kipping, »Wie gewohnt schweigt #GroKo.«
Razzien wurden auch bei dem alevitischen Sender Hayatın Sesi TV durchgeführt, der für seine Berichterstattungen über die Gezi-Proteste 2013 bekannt geworden war. Der Regieraum sei geschlossen worden, berichtet der Sender auf Twitter, und versicherte: »Wir werden weiterhin die Wahrheit sagen.« Über den sozialen Mediendienst Periscope wurden Videos von der Razzia gestreamt.
Das »Freie Radio« Özgür Radyo berichtet, bei der Razzia seien Mitarbeiter festgenommen und verprügelt worden.
Der Türkei-Experte Ismail Küpeli berichtete am Dienstag über die Schließungen. »Mit der Abschaltung von @imc_televizyonu wird eine starke Stimme der linken und prokurdischen Opposition verstummen«, schrieb er. Wenn es so weiter gehe, müsse er die Berichterstattung einstellen, da viele relevante Quellen inzwischen versiegten. Auf Twitter kündigte er eine Pause für Tweets über die türkische Politik bis November an.
»Die Stürmung der Redaktionsgebäude ist neuer Höhepunkt der antidemokratischen Politik Ankaras«, kommentierte die LINKE-Politikerin Sevim Dagdelen. Dass die Razzien zeitgleich mit dem Eintreffen der Bundestagsdelegation in Ankara erfolgten, zeige, »wie erpressbar sich Berlin mittlerweile gemacht hat.« Statt weitere Einheiten an die Seite des Despoten Erdogan zu stellen, müssten die deutschen Soldaten aus Incirlik abgezogen werden.
Die Schließung von 23 Radio- und Fernsehsendern war am Donnerstag von türkischen Behörden angeordnet worden. Der Satelliten- und Kabelanbieter Türksat stoppte am selben Tag die Ausstrahlung mehrerer Kanäle, darunter auch des kurdischsprachigen Kindersenders Zarok TV. Mindestens sieben Sender wurden seit der Ankündigung am Donnerstag ganz geschlossen. Die Maßnahme basiert auf dem verhängten Ausnahmezustand und einem erlassenen Notstandsdekret. ek
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