Flüchtlingskirche ist offen für alle
Seit einem Jahr wird in St. Simeon in Kreuzberg unabhängig von der Konfession geholfen
Sana Salman hat Sorgen wegen des Nachzugs ihrer Familie aus Syrien und Rechtsanwalt Boumedien Habibes versucht, der Frau zu helfen. Seit April bietet der 39-Jährige kostenlose Beratungen in der Flüchtlingskirche St. Simeon an. Am 8. Oktober wird die Flüchtlingskirche an der Wassertorstraße 21a in Kreuzberg ein Jahr alt.
Sechs Mitarbeiter kümmern sich dort um verschiedene Belange der Flüchtlinge, die aus ganz Berlin herkommen, zum Teil auch aus Brandenburg anreisen. Träger der Flüchtlingskirche ist das Diakonische Werk Berlin-Stadtmitte. Es kooperiert mit der evangelischen Landeskirche und mit dem Verein Asyl in der Kirche. Es gibt Sprechstunden bei zwei Ärztinnen und einer Krankenschwester, es gibt Seelsorge, es gibt Rechtsberatung und als Treffpunkt ein Café, in dem gerade Hassan aus dem Tschad Tee und Kaffee ausschenkt.
»Die Unterbringung der Flüchtlinge ist in Berlin nach wie vor ein großes Problem«, bedauert Projektleiterin Anke Dietrich. Zwar werden Turnhallen geräumt. Doch die Menschen gelangen dann in Sammelunterkünfte wie die Tempelhofer Flugzeughangars, »in denen die Verhältnisse auch nicht besser sind«, wie Dietrich sagt. »Bei uns finden die Flüchtlinge auch einen Stuhl und einen Tisch, um mal zur Ruhe zu kommen.«
Täglich kommen bis zu 60 Flüchtlinge. Vor der Tür von Anwalt Habibes bildet sich eine Schlange. Gegenwärtig erscheinen sehr viele Syrer bei ihm und fast immer gehe es dabei um den Familiennachzug, berichtet er. Habibes Vater arbeitete einst in Frankreich für die algerische Befreiungsfront FLN im Untergrund, flog dabei auf und flüchtete nach Deutschland. Boumedien ist in Düsseldorf geboren, spricht neben Deutsch auch perfekt Arabisch, Französisch und Englisch. Das erleichtert die Kommunikation mit Flüchtlingen aus dem Nahen Osten und aus Nordafrika erheblich. Ihre Angehörigen in die Bundesrepublik zu holen, ist aber sehr schwer geworden.
Denn Deutschland hat den Familiennachzug zum 17. März extrem eingeschränkt, erinnert Habibes. Wer nicht nachweisen könne, dass er in der Heimat verfolgt wird, bekomme kein Asyl mehr, sondern nur einen behelfsmäßigen Schutz. Syrer seien nun generell davon betroffen, ob sie nun individuell bedroht sind oder nicht. »Deutschland hat die Tür zugemacht«, kritisiert Habibes. »Wir sind nicht wie Ungarn. Wir bauen keinen Zaun, wir machen ein Gesetz«, bemerkt er bitter. Die neue Rechtslage spricht sich in der Welt herum. Früher ging der Vater oder ein starker Sohn auf dem gefährlichen Weg durch den Balkan oder übers Mittelmeer voran und versuchte dann am Ziel, eine bequeme Flugreise für die Familie zu organisieren. Das klappt nun nicht mehr, und bald werden viel mehr Frauen und kleine Kinder auf den Fluchtrouten unterwegs sein. Habibes macht sich über die Folgen keine Illusionen. »Es werden noch mehr Menschen sterben.«
Nach der Konfession wird in St. Simeon nicht gefragt. Die Menschen, die dort anklopfen, sind sicher in der Mehrzahl Muslime, weiß Projektleiterin Dietrich. Manchmal kommt einer aus dem Nahen Osten und atmet auf: »Hier darf ich endlich sagen, dass ich Christ bin.« In Einzelfällen wollen Muslime konvertieren, weil sie denken, dass sie sich so leichter integrieren können. Pfarrerin Dorothea Schulz-Ngomane klärt dann auf, dass sie in ihrem Asylverfahren keine Vorteile haben, wenn sie Christ sind - und dass sie leider trotzdem abgeschoben werden können. Missioniert wird nicht in St. Simeon. Anwalt Habibes verrät, er sei weder Christ noch Muslim, sondern überhaupt nicht religiös gebunden.
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