Türkische Luftwaffe tötet angeblich bis zu 200 Kurden

Stellungen in Nordsyrien bombardiert / YPG widerspricht Meldungen / Waffenruhe in Aleppo soll auf drei Tage ausgedehnt werden / Moskau wirft belgischer Luftwaffe Tötung von Zivilisten vor

  • Lesedauer: 4 Min.

Istanbul. Die türkische Luftwaffe hat im Norden des Nachbarlandes Syrien erneut ein Gebiet unter kurdischer Kontrolle bombardiert. Damit sollten die kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG) getroffen werden, meldete die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu am Donnerstag unter Berufung auf die Armee. Bei dem Angriff sollen zwischen 160 und 200 kurdische Kämpfer getötet worden sein. Laut der Nachrichtenagentur AP widersprach ein kurdischer Anführer der Kämpfer den Darstellungen. Es seien bei den Angriffen nicht mehr als zehn Soldaten getötet worden.

Die kurdischen Volksschutzeinheiten sind in Syrien wichtigster Verbündeter des Westens im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Sie beherrschen große Teile der Grenze zur Türkei. Die gewöhnlich gut informierte Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete hingegen zunächst keine Opfer. Die Angaben von Anadolu ließen sich nicht unabhängig überprüfen.

Die Menschenrechtler berichteten, türkische Jets hätten Orte nahe der Grenze bombardiert. Diese ständen unter Kontrolle der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF). Diese werden von der YPG angeführt. Ankara will jedoch verhindern, dass die Kurden ihre Kontrolle in Syrien weiter ausbauen.

Unterdessen zeichnet sich in Aleppo womöglich eine Verlängerung der Feuerpause ab. Die syrische Armee kündigte eine Ausdehnung auf insgesamt drei Tage an. Die Unterbrechung der Kämpfe war am Donnerstag um 8.00 Uhr (Ortszeit/7.00 MESZ) in Kraft getreten. Sie sollte nach russischen Angaben zunächst elf Stunden dauern. Die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana meldete am Morgen unter Berufung auf die Armeeführung, die Waffenruhe gelte auch am Freitag und Samstag jeweils von 8.00 bis 19.00 Uhr (Ortszeit). Die Lage in Aleppo blieb unmittelbar nach Beginn der Feuerpause ruhig. Bislang seien keine Brüche der Waffenruhe gemeldet worden, erklärte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte.

Aleppo hatte in den vergangenen Wochen die heftigsten syrischen und russischen Luftangriffe seit Ausbruch des Konflikts im Frühjahr 2011 erlebt. In den belagerten Rebellengebieten im Osten der Stadt leben noch rund 250 000 Menschen. Sie leiden unter einem massiven Mangel an Nahrungsmitteln, Trinkwasser und medizinischer Versorgung.

Die syrische und russische Luftwaffe hatten ihre Angriffe auf die Rebellengebiete im Osten Aleppos bereits am Dienstag überraschend eingestellt. Das habe der Vorbereitung der »humanitären Waffenruhe« gegolten, zitierte Sana die syrische Armeeführung. Die Waffenruhe soll Rebellen und Zivilisten nach russischen Angaben die Möglichkeit geben, den von Regimegegnern kontrollierten Osten der Stadt zu verlassen. Das syrische Außenministerium erklärte, die Armee habe sich von Korridoren zurückgezogen. Bislang habe aber noch niemand die entsprechenden Stadtteile verlassen. Die Rebellen lehnen einen Abzug ab. Sie werfen Russland und Syrien vor, das Angebot gleiche einer Kapitulation. Für Zivilisten fordern sie Korridore unter Aufsicht der Vereinten Nationen.

Kremlchef Wladimir Putin hatte nach einem Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel in Berlin erklärt, Russland sei unter Bedingungen zu einer Verlängerung der Waffenruhe bereit. Voraussetzung sei, dass die bewaffneten Gruppen auch einer Feuerpause zustimmten.

Der belgischen Luftwaffe wird seitens Russlands indes vorgeworfen, belgische Kampfflugzeuge hätten in Syrien Zivilisten getötet. Das belgische Außenministerium kündigte am Mittwoch an, es werde den russischen Botschafter in Brüssel einbestellen. Botschafter Alexander Tokowinin werde am Donnerstagvormittag im Außenministerium erwartet, sagte Ministeriumssprecher Didier Vanderhasselt.

Moskau hatte am Mittwoch erklärt, die an der internationalen Anti-IS-Koalition beteiligte belgische Luftwaffe habe bei Angriffen in der Gegend von Aleppo sechs Zivilisten getötet. Die belgische Regierung wies dies zurück.

Kein belgisches Flugzeug sei in den vergangenen Tagen in der Provinz Aleppo im Einsatz gewesen, hieß es in einer am Mittwochabend veröffentlichten gemeinsamen Erklärung von Außenminister Didier Reynders und Verteidigungsminister Steven Vandeput. »Diese russischen Anschuldigungen sind unbegründet und entbehren jeder Substanz.« Belgien bedaure, dass es keine Gespräche im Vorfeld gegeben habe, »um die Fakten zu klären, bevor Anschuldigungen gemacht werden«. Das russische Verteidigungsministerium hatte erklärt, zwei belgische F-16-Kampfjets seien im Luftraum von Hassadschik nahe Aleppo »geortet« worden, während dort in der Nacht zum Dienstag bei einem Angriff der Koalition zwei Häuser bombardiert und dabei sechs Menschen getötet worden seien. Agenturen/nd

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.