Hogarth’s England
»Laster des Lebens« – Eine Ausstellung zur Druckgrafik von William Hogarth in der Stiftung Schloss Neuhardenberg
William Hogarth ist der Erfinder eines neuen Genres, des modernen Lebensbildes (»modern moral subject«), humoristisch-satirischen Skizzen anekdotenhaft aufgefasster Szenen aus dem zeitgenössischen Leben mit gesellschaftskritischer Tendenz. Neben die Tafelbild-Fassung stellte er meist die grafische Variante. Diese breiten Schichten zugänglichen Drucke – vor allem Kupferstiche – hielten das Leben der werdenden Großstadt London fest. Sie reportierten Tagesereignisse, Geschehnisse aus dem Leben, Sitten, Meinungen, Sensationen, das, worüber im Kaffeehaus getratscht, was die Journale berichteten und was das Publikum vom Theater erwartete. Hogarth fasste in der Tat seine Kompositionen als Bühnenszenerie, die dargestellten Figuren als Schauspieler auf. Werbung und Vertrieb seiner Drucke nahm er in die eigene Hand, hatte sich aber immer gegen Raubdrucke zur Wehr zu setzen.
Die Stiftung Schloss Neuhardenberg zeigt 70 in ihren Folgen vollständig erhaltene Arbeiten, die aus dem Städel-Museum Frankfurt am Main kommen. Johann Friedrich Städel, der Stifter des Städelschen Kunstinstitutes, und sein Freund Johann Georg Grambs hatten vor 200 Jahren mit der Hogarth-Sammlung den Grundstein dieses Hauses gelegt.
Wie ein Theaterstück ist der Zyklus »Leben einer Dirne« (1732) aufgebaut. Hogarth stellt den Lebenslauf der Harlot in einen gesellschaftlichen Kontext, gibt die Örtlichkeiten detailgetreu wieder und konterfeit auch authentische Figuren. Die Handlungen des leichtfertigen Mädchens werden wesentlich von den sie benutzenden Personen bestimmt. Aber weil sie nichts aus den Konsequenzen lernt, macht sie sich selbst auch schuldig. Die Gemälde, die Utensilien, das Inventar, auch die Texte auf Zetteln und in aufgeschlagenen Büchern in den Interieur-Szenen können Kommentare zum Geschehen im Raum sein, metaphorischer Ausdruck des Absturzes der Protagonistin, aber auch groteske Parodien auf Figuren und Situationen sein. Dadurch erhält die Aussage – auch in den anderen Folgen - noch weitere Dimensionen. Die jeweiligen Figurengruppen sind klar gegliedert und gegeneinander gesetzt.
Der nächste Zyklus, »Der Weg eines Liederlichen« (1735), ist eine Variante der Geschichte vom verlorenen Sohn. Mit Rakewell – er könnte auch eine »Jedermann«-Figur sein - wird kein beliebiger lasterhafter Mensch dargestellt, sondern seine Lebensstationen sind Stereotypen des bürgerlich-kapitalistischen Lebens, in dessen Zentrum das Geld steht. Wie er zu Geld kommt, Geld anhäuft, ausgibt, leiht, erbt, Schulden macht – die Geldverhältnisse haben die menschlichen Beziehungen ersetzt. Bildliche Entsprechungen zu den Figuren, exzellenten physiognomischen Studien, finden wir in allen Folgen.
In dem Zyklus »Die vier Tageszeiten« (1738) wählte Hogarth wieder bekannte Plätze und Geschehnisse, die sich so täglich zutragen können. Sein Anliegen, Konsequenzen aufzuzeigen, ist hier ersetzt durch das einfache Nebeneinanderstellen von Gegensätzen, ohne dass für eine Seite Partei ergriffen wird. Alle Seiten sind Zielscheibe seiner Kritik.
Der Zyklus »Heirat nach der Mode« (1745) ist eine Satire auf die Unmoral und Geschmacklosigkeit der Oberschicht. In knapper Erzählstruktur und einer Vermischung von tragischen und komischen Elementen beschreibt Hogarth die Konsequenzen und Folgen einer Ehe ohne Zuneigung. Die Namen der Figuren weisen auf die Eigenschaften ihrer Träger hin, die Bilder im Bild charakterisieren das Milieu und interpretieren das Geschehen im Raum.
Analog zur gesellschaftlichen Situation tritt in seiner Spätphase der moralische und sozialreformerische Impuls stärker hervor. Hogarth betont den erzieherischen Charakter nicht nur in den Blättern »Bierstraße« und »Schnapsgasse« (1751), sondern auch in den »Vier Stufen der Grausamkeit« (1751), die in expressivem Stil böse Geschichten von Grausamkeit und Fühllosigkeit, Laster und Verbrechen erzählen. Er hat Lotterie und Prostitution, Trunksucht und Tierquälerei, Modetorheit, Glücksritter- und Spekulantentum angeprangert und verurteilt. Er votierte für die Beendigung des »Siebenjährigen« Krieges, setzte sich mit der Verrohung der Sitten auseinander, stieß zu Ende seines Lebens mit der Pitt-Regierung zusammen. In »Stimmenfang« (1757) stellte er die korrupten Machenschaften einer Wahlkampagne bloß. In seinem letzten Blatt »Schlußstück oder Falsches Pathos« (1764) reflektiert er über die Endlichkeit aller Dinge – auch seiner eigenen Werke – und lässt die Zeit (»Chronos«) buchstäblich sterben.
Als Vater der englischen Karikatur lebte er weiter, das aber ist zu wenig. Er hatte die Kunst zu einem wesentlichen Erkenntnis- und Verständigungsmittel des (englischen ) Volkes werden lassen.
»Laster des Lebens – Druckgrafik von William Hogarth aus der Graphischen Sammlung im Städel Museum«. Noch bis zum 30. Oktober in der Stiftung Schloss Neuhardenberg, Schinkelplatz, 15320 Neuhardenberg/Brandenburg
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