Offshore-Boom statt Fährverkehr
Der Hafen Mukran in Mecklenburg-Vorpommern hat sich nach Krisenjahren neu ausgerichtet
Es ist ruhig geworden an den Terminals des Fährhafens Sassnitz-Mukran. Nur einmal am Tag spuckt die Fähre »Sassnitz«, die zwischen Rügen und dem schwedischen Trelleborg pendelt, Passagiere und Fahrzeuge aus. Seit Mai firmiert der Fährhafen Sassnitz-Mukran unter dem Namen Mukran Port. Der Name steht für eine Neuausrichtung des Hafens, der in den vergangenen 15 Jahren mehr und mehr an Fährgeschäft und Umschlag verlor und nun in den Offshore-Projekten seine Zukunft sieht.
Bei einem Treffen zum 30-jährigen Jubiläum wurde am Donnerstag an die wechselvolle Geschichte des Hafens erinnert. Am 2. Oktober 1986 ging der Hafen nach viereinhalb Jahren Bauzeit in Betrieb. Fünf Fährschiffe - mit einer Länge von 190 Metern die größten jemals in der DDR gebauten - pendelten von Sassnitz über die Ostsee. 2500 Menschen bot der Hafen Arbeit.
»Der Hafen war ein Prestigeprojekt«, sagt der Sassnitzer Hans-Dietmar Hoffmüller, der über Jahrzehnte Dokumente zum Bau und zur Entwicklung des Hafens sammelte. Der von 1982 an erbaute Fährhafen auf der Insel Rügen mit seinem fast 100 Kilometer langen Schienensystem ist Ausdruck des wachsenden Misstrauens unter den Ostblockstaaten in den 1980er Jahren. »Polen hatte seinerzeit angekündigt, die Transitgebühren für den Eisenbahnverkehr zwischen der Sowjetunion und der DDR um 400 Prozent zu erhöhen«, sagt Hoffmüller. Zu den wirtschaftlichen Unwägbarkeiten kamen die politischen: In Polen erstarkte zu Beginn der 1980er Jahre die Solidarnosc-Bewegung.
Ab 1982 schufen auf Rügen dann rund 4000 Bauarbeiter sowie rund 200 Bausoldaten eine gigantische Infrastruktur auf fünf Kilometern Länge und einem Kilometer Breite. Rund zwei Milliarden Mark ließ die DDR sich den Brückenkopf kosten, über den neben militärischen Gütern wie Raketen, Panzern, Munition und Geschützen vor allem Rohstoffe wie Erze, Holz oder Baumwolle aus der Sowjetunion transportiert wurden. Im Gegenzug lieferte die DDR Industrieanlagen nach Moskau, sagt Hoffmüller. »Mit der Wende brach der Umschlag völlig zusammen.« Aufschwung brachte noch einmal der Abzug der russischen Streitkräfte, die letzte Fähre mit Militärgütern legte im Juli 1994 ab. 1998 wurde der Schwedenverkehr vom Stadthafen Sassnitz nach Mukran verlegt.
Doch der Traum, sich als westlichster Ostseehafen mit russischem Breitspursystem und als kürzeste Verbindung nach Schweden und Russland zu profilieren, platzte. Die Fähren in das Baltikum und nach Russland litten unter einer ungleichen Auslastung auf den Hin- und Rücktouren, später kamen die Russland-Sanktionen hinzu. Und vor zwei Jahren verlegte die Reederei Stena Line eine Schwedenfähre nach Rostock.
Nach Angaben des Statistischen Landesamtes ist der Güterumschlag im Fährhafen seit Jahren rückläufig. Gingen dort im Jahr 2000 noch 2,9 Millionen Tonnen Güter im Seeverkehr über die Kaikante, waren es 2015 knapp 1,1 Millionen Tonnen. Auch die Fahrgastzahlen gingen laut Statistik-Amt zurück: Von rund 750 000 Passagieren im Jahr 2005 auf etwa 330 000 Fahrgäste im Jahr 2015. »Wir mussten uns in der Vergangenheit mit einer kontinuierlichen Verminderung im Fährgeschäft, mit Krisen und damit verbundenen Ladungsrückgängen auseinandersetzen«, sagt Hafenchef Harm Sievers.
Der Hafen profitiert seit einigen Jahren vom Offshore-Boom auf der Ostsee: Die Montage des EnBW-Windparks »Baltic 2« wurde über den Hafen abgewickelt, auch der spanische Energiekonzern Iberdrola und der deutsche Energieriese E.on nutzen Sassnitz als Drehscheibe für den Bau ihrer Offshore-Windparks »Wikinger« und »Arkona« - mit langfristigen Effekten über die Bauzeit hinaus. Beide Konzerne wollen in den nächsten Jahrzehnten den Betrieb von Sassnitz aus steuern. Mit jeweils 100 direkten Arbeitskräften wird gerechnet. »Wir sind mittlerweile der wichtigste Standort für Offshore-Wind-Projekte in der Ostsee«, sagt Sievers.
Zudem will das Nord Stream-Konsortium für die zwei zusätzlich geplanten Stränge der Ostseepipeline die Rohre in Sassnitz mit Beton ummanteln lassen, was zeitlich befristet für 150 Arbeitsplätze sorgt. Hoffnung setzt der Mukran Port auch in den Getreideumschlag. Erst im August ging eine entsprechende Schüttgutentladestelle in Betrieb. dpa/nd
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