Wallonie stürzt EU in tiefe Krise

Regionalregierungschef Paul Magnette fordert Verschiebung der geplanten Unterzeichnung von CETA

  • Phillipp Saure, Brüssel
  • Lesedauer: 3 Min.

Europa droht eine Blamage, weil eine einzige Region im ohnehin schon kleinen Belgien ein Vorhaben von 28 Staaten mit insgesamt 500 Millionen Einwohnern blockiert. Das war am Freitag der Tenor verschiedener Wortmeldungen von Politikern, nachdem die belgische Wallonie den Handelspakt CETA mit Kanada weiterhin nicht akzeptieren wollte. Der regionale Ministerpräsident Paul Magnette hingegen präsentierte sich als Vorkämpfer eines fairen Welthandels: »Wir sprechen nicht nur über einen Pakt mit Kanada, wir sprechen über alle künftigen bilateralen Verträge«, sagte er am Freitag in seiner Hauptstadt Namur laut belgischen Medien. »Die Frage lautet tatsächlich: Was für eine Globalisierung wollen wir?« Zudem forderte er eine Verschiebung der für nächsten Donnerstag geplanten Unterzeichnung von CETA mit dem kanadischen Premier Justin Trudeau.

Zuvor hatte bereits eine Krisensitzung die nächste gejagt. Die kanadische Handelsministerin Chrystia Freeland reiste nach Namur, um persönlich mit Magnette zu sprechen. Die EU-Kommission, die CETA jahrelang verhandelt und noch in den letzten Tagen immer weiter auf die Wallonie zugegangen war, war mit Chefverhandler Mauro Petriccione vertreten. Belgiens föderaler Regierungschef Charles Michel telefonierte mit Justin Trudeau.

Doch auch Michel ließ Zweifel laut werden. »Ich bin nicht zuversichtlich«, sagte er am Rande des EU-Gipfels in Brüssel, der sich just ohnehin mit dem Thema Handel im Allgemeinen beschäftigte, von wo aus aber immer wieder gebannt nach Namur geblickt wurde. Immerhin würden weitere Gespräche geführt, sagte Michel: »Wir sind immer noch am Verhandlungstisch.« Als der Gipfel sich am Nachmittag auflöste und die Staats- und Regierungschefs, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), in ihre Hauptstädte zurückkehrten, war aus der wallonischen Hauptstadt immer noch kein erlösendes Signal gekommen. Eigentlich soll der Vertrag kommenden Donnerstag bei einem EU-Kanada-Gipfel in Brüssel feierlich unterzeichnet werden.

Paradox: Belgiens Premier Michel selbst ist klar für CETA. Nach der belgischen Verfassung ist die Föderalregierung aber bei Verträgen wie CETA zusätzlich an das Votum der Regionen und Sprachgemeinschaften gebunden. Theoretisch hätte sogar die Mini-Minderheit der deutschsprachigen Belgier, die über eigenes Parlament und Regierung verfügt, den Vertrag kippen können.

In Szene setzte sich stattdessen Magnette, der dem liberalen Premier Michel nicht nur als Ministerpräsident, sondern auch als Sozialist gegenübersteht. Die Wallonie hatte in der Vergangenheit laut Medien unter anderem deshalb Vorbehalte gegen CETA, weil sie Nachteile für ihre Landwirte und den öffentlichen Sektor befürchtete. Konkret befürchten die Landwirte im verarmten Süden Belgiens, dass sie durch billige Fleischimporte aus Kanada aus dem Markt gedrängt werden.

Generell bemängeln Kritiker in ganz Europa, dass CETA Sozial- und Umweltstandards senke und die Demokratie untergrabe. Am Freitag nun sagte Magnette nach einem Bericht des Rundfunks RTBF: »Es wird keine Importe von Hormonfleisch nach Europa geben. Aber es bleibt die Frage der öffentlichen Dienste und der Schiedsverfahren.«

Rückendeckung erhielt Magnette am Freitag von den europäischen LINKEN. Die EU »erpresst« die wallonische Regierung, »die Ceta bisher erfolgreich verhindert«, erklärte Gabi Zimmer, Fraktionschefin im Europaparlament. Druck übte dagegen auch sein Pendant in Belgiens Deutschsprachiger Gemeinschaft, Ministerpräsident Oliver Paasch, aus.

Zwar seien die wallonischen Sorgen seit Jahren bekannt und offenbar nicht ausreichend behandelt worden, machte Paasch im Deutschlandradio Kultur zugunsten Magnettes geltend. Zugleich urteilte er, wenn die Einigung ausbleibe, »dann wird sicherlich die Europäische Union sich in gewisser Weise blamieren«. epd

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