Soziale Medien und Web 2.0
Smarte Worte 11: Internet-Nutzer können auf vielen Kanälen eigene Inhalte veröffentlichen. Die Kommunikation aber wird von wenigen »beherrscht«
Mit dem Begriff Soziale Medien (englisch: Social Media) werden neuartige Kommunikationsformen beschrieben, die erst durch das Internet ermöglicht oder zumindest bis zur Nutzbarkeit erleichtert werden: Statt dass Informationen wie herkömmlich von Medienorganisationen einseitig verbreitet werden, fließen Informationen entlang der Verbindungslinien in sozialen Netzwerken, wie sie das Internet abbildet. Die traditionelle Rollenteilung von Anbieter und Konsument von Inhalten wird so aufgeweicht (»Jeder kann ein Sender sein«).
Informationen verschiedener Quelle können miteinander verbunden, verändert und zu neuen Informationsangeboten gebündelt werden. Der »Wert« einer Nachricht oder die Information wird so von der sozialen Position ihrer Quelle getrennt und kann sich je nach Relevanz mehr oder weniger erfolgreich im sozialen Netz verbreiten. Besonders in der Anfangszeit der sozialen Medien erhoffte man sich von ihnen eine befreite(re) Kommunikation, weil sie traditionelle Machtgefälle ausgleichen, Gegenöffentlichkeiten bestärken und Hierarchien beseitigen sollten.
Bis vor wenigen Jahren meinte man mit sozialen Medien vor allem Weblogs, Wiki-Seiten wie die Wikipedia und offene Nachrichtenplattformen. Im Vordergrund stand damals, dass im frühen Internet potenziell jeder mit einem Internet-Zugang und etwas Speicherplatz im Netz seine eigenen Bilder, Texte und Töne veröffentlichen konnte und dass potenziell jeder mit einem Internet-Zugang diese Informationen auch einsehen und — zum Beispiel bei den Wikis — sogar verändern konnte.
Außerdem konnten diese Informationen mit anderen Informationen und Plattformen querverbunden oder zu ganz neuen Informationsplattformen zusammengebracht werden. Das trennte die »sozialen Medien« von den klassischen Massenmedien. Dort bereitete eine kleine Personengruppe Informationen für eine große Gruppe von Empfängern auf. Zwischen den Medien und zwischen Absender und Empfänger konnte kaum wechselseitig Einfluss ausgewirkt werden. All diese neuen Möglichkeiten plus eine (damals) neue, verbesserte Nutzbarkeit von Internet-Angeboten fasst der Begriff »Web 2.0« zusammen, der 2004 auf einer Internet-Konferenz geprägt wurde.
Heute sind die Begriffe Soziale Medien und Web 2.0 als Kategorie beinahe überflüssig geworden - zumindest umfassen sie heute von sozialen Netzwerken bis Instant Messengers, Online-Spielen und Intranets, Bewertungsplattformen und Videodiensten eine sehr große Bandbreite von Kommunikationsfällen im Internet: Im Grunde alle Orten, an denen Internet-Nutzer eigene Inhalte zugänglich machen können. Viele derzeitige Medienangebote vermischen außerdem Elemente der Social Media mit klassischen Darreichungsformen, zum Beispiel als Kommentarbereich unter Nachrichtenartikeln und der Möglichkeit Artikel, Bilder und Töne mit anderen zu teilen. Sie suggerieren damit, »auf Augenhöhe« mit ihren Kunden zu kommunizieren und deren Rückmeldungen in die Berichterstattung einfließen zu lassen.
Technisch ist den beiden Begriffen Soziale Medien und Web 2.0 ohnehin kaum mehr beizukommen. Mehr als für eine technische Struktur, über die Kommunikation übertragen wird, stehen sie für eine veränderte Erwartungshaltung an die Verbreitung und den Konsum von Informationen: Jeder kann mitmachen, jede Information und Quelle hat zunächst gleich viel Gewicht. Weil diese Erwartung aber entweder nicht erfüllt wurde oder sich viel komplexer ausgestaltet, geriet das Konzeptbündel Soziale Medien ins Abseits.
Neue Relevanz hat es allerdings jüngst durch den Erfolg der sozialen Netzwerke wie Facebook und den neuen Kommunikationsplattformen wie WhatsApp bekommen: Hier entstehen nun aus der Verschmelzung von privater Kommunikation und Öffentlichkeit eine Vielzahl neuer Teilöffentlichkeiten in allen möglichen Arrangements. Weil diese wiederum von einigen wenigen Firmen gesteuert, erlaubt und verboten, ausgebeutet und gefördert werden können, droht dadurch ein Verlust des an sich emanzipativen Potenzials einer weniger hierarchisch strukturierten Öffentlichkeit.
In einer technisch vermittelten Öffentlichkeit beherrscht derjenige die Kommunikation, der das zugrundeliegende Medium kontrolliert. Dieses Problem wird dadurch verschärft, dass soziale Medien als Internet-System auch maschinell auswertbar und beeinflussbar sind. Das heißt, die über das Internet verbreiteten Informationen werden auch von Algorithmen mitgelesen, die Informationen einordnen und Inhalte und deren Verbreitung beeinflussen können. Die ohnehin zersplitterte Online-Öffentlichkeit wird damit zu einem heiß umkämpften Feld von Partikularinteressen: Das egalitäre Prinzip des Netzes zum Wettbewerbsvorteil der besser ausgerüsteten, schnelleren Seite. (fk)
Zum Weiterlesen:
Social Web: Ausdifferenzierung der Nutzung - Potenziale für Medienanbieter
Vernetzte Öffentlichkeit (Video)
Forbes: Do Evil - The business of Social Media Bots
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.