Für die meisten wäre Rot-Rot-Grün normal

Umfrage: Wechsel zu Mitte-Links wäre für über 70 Prozent normaler demokratischer Vorgang / Union macht weiter Front gegen Linksregierung

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 5 Min.

Berlin. Seit Wochen machen Politiker der Union rhetorisch Front gegen ein mögliches Mitte-Links-Bündnis aus SPD, Linkspartei und Grünen. Sogar als gefährlicher als die Rechtsaußen-AfD wurde eine »Linksfront« bereits bezeichnet, verbal klingt bei CSU und CDU nichts geringeres als der »Untergang des Abendlandes« an. Doch bei den meisten Bundesbürgern verfängt die Stimmungsmache nicht mehr.

Laut einer Emnid-Umfrage für die »Bild am Sonntag« würden 71 Prozent einen Wechsel zu einer rot-rot-grünen Regierung als einen normalen demokratischen Vorgang ansehen. 50 Prozent der Befragten sind anders als die Unionspolitiker der Meinung, Rot-Rot-Grün wäre »ungefährlich«, wie es in einer Vorabmeldung des Blattes formuliert wird. Nur jeder Dritte bejahte die Frage, ob ein solches Regierungsbündnis der Republik schaden würde. 60 Prozent würden ob solch eines Koalitionsmodells auch nicht persönlich beunruhigt sein (35 Prozent wären es).

Streitgespräch über Rot-Rot-Grün

Die Fraktionschefin der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, sagte in einem Streitgespräch der »Welt« mit dem Linken-Politiker Bodo Ramelow und dem SPD-Bundestagsabgeordneten Karl Lauterbach, »aus heutiger Sicht halte ich rot-rot-grüne Koalitionsverhandlungen für unrealistisch. Aber was in einem Jahr ist, werden wir sehen«. Es gehe nicht darum, Mitte-Links als Projekt zu überhöhen. »Koalitionen sind Verabredungen auf Zeit. Nicht mehr, nicht weniger«, so Göring-Eckardt.

Ramelow sagte, er wünsche sich rot-rot-grüne Koalitionsverhandlungen. »Dafür müssen aber alle Parteien ihre Hausaufgaben erledigen, auch meine.« In jeder der drei Parteien gebe »es problematische Positionen«, so der Thüringer Ministerpräsident mit Blick auf Äußerungen von Parteipolitikern etwa in der Asylfrage, die in allen drei Parteien zu Debatten geführt haben. »Wir sollten aber die strittigen Fragen von Personen abstrahieren und das sachlich Trennende besprechen.« Lauterbach verwies darauf, dass eine permanente große Koalition, siehe Österreich, dazu führe, »dass der rechte Rand stärker wird. Das will keiner von uns. Auch das ist einer von vielen Gründen, über Rot-Rot-Grün nachzudenken.« Die Große Koalition dürfe »keine Dauerlösung« sein.

Knackpunkt Außenpolitik

Das Gespräch drehte sich nicht zuletzt um die Außenpolitik, die als zwischen den drei Parteien besonders umstritten gilt. Ramelow wies zurück, dass er dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nahe sei. »Die Präsidenten von Russland und der Türkei agieren doch zunehmend wie Diktatoren, und beide Länder entwickeln sich zu Autokratien«, sagte er. Ramelow fragte aber auch: »Warum schweigen wir, wenn die USA in der Ukraine Öl ins Feuer kippen?« Zudem kritisierte er indirekt, »dass man mit der NATO in Osteuropa immer stärker aufrüstet und damit die Russen noch weiter demütigt«. Die Grüne Göring-Eckardt antwortete darauf mit dem Vorhalt, diese »Sätze klingen sehr ähnlich dem Gerede vom eingekreisten, gedemütigten Russischen Reich. Aber das ist doch eine Erzählung der russischen Propagandamaschine«.

Lauterbach sagte, es bringe nichts, »wenn wir drei für unsere jeweiligen Parteien den jeweils höchsten moralischen Anspruch in der Außenpolitik beanspruchen. Es geht vielmehr um die Frage: Wie können wir den Krieg in Syrien eindämmen? Wie können wir dem machtsüchtigen, rücksichtslosen Nationalisten Putin begegnen?« Gefragt sei eine »unideologische und pragmatische Außenpolitik«, so der Gesundheitsexperte. Er nannte es zudem »richtig, mit Russland zu reden, wie es Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel tun. Es kann nicht sein, dass jedem, der die Gefahren einer weiteren Eskalation mit Russland benennt, sogleich eigene wirtschaftliche Interessen unterstellt werden«.

Lauterbach sieht die drei Parteien in der Steuerpolitik »nicht so weit auseinander. Wir brauchen eine höhere Erbschaftsteuer, die kleine Erbschaften schont und eine moderate Vermögensteuer. Das stärkt das Vertrauen in die Demokratie und ermöglicht Investitionen in unsere marode Infrastruktur«, sagte er. Ramelow unterstützte diese Position, Göring-Eckardt hielt dagegen: »Ich bin dagegen, eine Liste mit Steuererhöhungen vorzulegen.« Allerdings sehe auch sie die ungerechte Vermögensverteilung und forderte, »dass die Superreichen mehr beitragen müssen«. Die Frage der Vermögensbesteuerung ist bei den Grünen umstritten, zuletzt hatte es aus der Bundestagsfraktion heraus einen neuen Versuch gegeben, den Streit beizulegen.

Während die »Welt« zu dem Gespräch anmerkte, »ziemlich eisig war die Atmosphäre zuweilen«, macht die Lektüre des Aufeinandertreffens der Dreierrunde bisweilen den gegenteiligen Eindruck. Die drei Politiker duzten sich, blieben auch bei schwierigen Punkten vergleichsweise fair miteinander und vor allem: Sie gingen ihnen nicht unter lautem Aufsagen von Parolen aus dem Weg, sondern suchten an vielen Stellen die wirkliche inhaltliche Auseinandersetzung. Ob und unter welchen Bedingungen am Ende eine Alternative zur Dauerkanzlerin Angela Merkel möglich sein könnte, bleibt dennoch abzuwarten. Lauterbach zitierte in dem Gespräch Hegel: »Die Wahrheit der Absicht zeigt sich in der Tat.«

Umfrage: Mitte-Links derzeit ohne Mehrheit

Bei den drei Parteien wird schon länger vorsichtig nach Chancen und Grenzen der Zusammenarbeit gefragt. Unlängst trafen sich über 100 Politiker der drei Parteien im Bundestag, auch die SPD spricht vorrangig aus machtpolitischen Gründen inzwischen öfter über die Option Rot-Rot-Grün. In der Linkspartei bleibt die Regierungsfrage umstritten, die Grünen wollen sich auch die Tür für ein Bündnis mit der Union offenhalten. Den aktuellsten Zahlen nach hätte ein Mitte-Links-Bündnis keine Mehrheit im Parlament. Laut Emnid kämen SPD, Linkspartei und Grüne zusammen auf 44 Prozent, Union, AfD und FDP dagegen zusammen auf 51 Prozent.

SPD-Generalsekretärin Katharina Barley sagte, ihre Partei strebe nach der Bundestagswahl keine Neuauflage der Großen Koalition an. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer forderte von SPD-Chef Sigmar Gabriel inzwischen den Rücktritt wegen des rot-rot-grünen Treffens im Bundestag. Er stelle sich »schon die Frage, wie prinzipienlos und geschichtsvergessen die SPD ist, wenn sie mit SED-Erben regieren will«. Die CSU werde, so Scheuer weiter, zu verhindern wissen, dass eine Mitte-Links-Regierung »Deutschland schwer schade«.

CDU-Generalsekretär Peter Tauber sagte derweil, er wolle im kommenden Bundestagswahlkampf vor allem die SPD ins Visier nehmen und nicht die AfD. Die Bekämpfung der Rechtsaußen-Partei als neue rechte Konkurrenz im Parteienspektrum habe für die CDU keine Priorität, sagte er der »Welt am Sonntag«. »Unser Hauptgegner im Wahlkampf bleiben die Sozialdemokraten und Rot-Rot-Grün.« mit Agenturen

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