Nun wirft Russland der US-Koalition Kriegsverbrechen vor

Moskau kritisiert Angriffe auf Zivilisten im Irak / Offensive in Richtung Mossul geht weiter / Irak lehnt Türkei-Angebot ab / Eine Million Flüchtlinge erwartet

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Berlin. Nach den anhaltenden Vorwürfen in Richtung Russland wegen angeblicher Kriegsverbrechen in Syrien hat die Führung in Moskau nun ihrerseits der US-Koalition Angriffe auf Zivilisten im Irak vorgeworfen. Die russische Aufklärung habe einen Angriff auf die Ortschaft Dakuk 30 Kilometer südlich der irakischen Stadt Kirkuk festgestellt, sagte Igor Konaschenkow vom Verteidigungsministerium. Dabei seien Zivilisten getötet worden, darunter Frauen und Kinder, sagte er der Agentur Interfax zufolge.

Eine unabhängige Bestätigung gab es zunächst nicht. Russland steht wegen seiner Bombardements der syrischen Großstadt Aleppo in der Kritik, mit denen es die Regierung in Damaskus stützt. Der UN-Menschenrechtsrat will möglichen Kriegsverbrechen nachgehen. Konaschenkow kritisierte nun seinerseits, die Aktionen der US-geführten Koalition im Irak trügen »Zeichen von Kriegsverbrechen«. Er behauptete: »Zu häufig fallen Hochzeiten, Beerdigungen, Krankenhäuser, Polizeistationen und humanitäre Konvois unter die Angriffe der Koalition.« Details nannte der Sprecher aber nicht.

Die irakische Armee hatte vergangene Woche mit Unterstützung der US-Koalition eine Offensive auf die von der Terrormiliz IS gehaltene Stadt Mossul begonnen. Der nun angeblich beschossene Ort sei aber nach russischen Erkenntnissen keine IS-Hochburg, hieß es.

Derweil hat der irakische Premierminister Haidar al-Abadi das »Angebot« der Türkei zurückgewiesen, bei der Offensive in Mossul zu helfen. »Wir wissen, dass die Türkei beim Kampf gegen den Islamischen Staat mitmachen will«, sagte Al-Abadi in Bagdad. »Wir bedanken uns dafür, aber das ist etwas, das die Iraker alleine schaffen.« Die Offensive auf Mossul komme gut voran, betonte der irakische Regierungschef nach einem überraschenden Besuch von US-Verteidigungsminister Ashton Carter im Irak.

Am Montag hatte die irakische Armee zusammen mit lokalen Milizen und kurdischen Peschmerga-Kämpfern eine Großoffensive gegen den IS in Mossul gestartet. Die Stadt im Norden des Landes ist die letzte Bastion der Extremisten im Irak. Sie steht seit Juni 2014 unter Kontrolle der Extremisten. Sollte die Stadt befreit werden, wäre der IS im Irak militärisch weitestgehend besiegt. Im Nachbarland Syrien beherrscht die sunnitische Terrormiliz allerdings noch immer große Gebiete.

Nach Angaben des Staatsfernsehens haben die Truppen am Samstag einen groß angelegten Angriff gestartet, um die früher vor allem von Christen bewohnte Stadt Karakosch zurückzuerobern. Kämpfer hätten im Stadtzentrum die irakische Flagge gehisst. Die Armee hatte die Stadt, die rund 20 Kilometer süd-östlich von Mossul liegt, bereits am Donnerstag für befreit erklärt, musste sich aber nach Beschuss durch Heckenschützen wieder zurückziehen.

In der nordirakischen Stadt Kirkuk durchkämmten irakische Regierungstruppen zusammen mit kurdischen Kämpfern mehrere Viertel auf der Suche nach IS-Terroristen. Am Freitag hatten Schläferzellen der Terrormiliz mehrere Angriffe in der Stadt ausgeführt und Gebäude eingenommen. Nach heftigen Gefechten konnte die Armee Gebäude zurückerobern.

Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR begann unterdessen mit der Versorgung von Familien, die vor den Kämpfen geflohen sind. 144 Flüchtlinge, vor allem Frauen und Kinder, seien in einem neu eingerichteten Lager nördlich von Mossul angekommen, teilte das UNHCR mit. Die Menschen seien zwei Tage lang in ihren Häusern gefangen gewesen, als sich kurdische Peschmerga-Kämpfer Gefechte mit der Terrormiliz lieferten.

Die Bundesregierung stellt angesichts der humanitären Krise in Mossul zusätzlich 34 Millionen Euro als Soforthilfe zur Verfügung. Davon würden Logistikzentren des Technischen Hilfswerkes im Nordirak finanziert, die Hilfsgüter verteilen, sagte Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) der »Neuen Osnabrücker Zeitung«. Deutschland helfe auch bei der Unterbringung der Flüchtlinge und bei der Gesundheitsversorgung. Es sei mit bis zu einer Million Menschen zu rechnen, die aus Mossul fliehen könnten. »Wir müssen uns auf monatelange Stellungskämpfe einrichten, und vor allem die Türkei dürfte wieder einen enormen Flüchtlingszustrom erleben.«

Müller unterstrich die Forderung nach einem UN-Flüchtlingsfonds, in den alle Länder in der Welt nach ihrer Leistungsfähigkeit einzahlen, »damit wir nicht Krise um Krise betteln gehen müssen«. 20 Milliarden Euro sind nach seinen Worten nötig, um weltweit die dringendsten Probleme zu lösen. Agenturen/nd

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