Schmerzhaftes Gedenken an deutsche Verbrechen
Am Sonntag erinnern griechische Dörfer an die NS-Massaker zwischen 1941 und 1944 / Forderungen nach Reperationen erhoben
Die Ereignisse der deutschen Besatzung in Griechenland sind in beiden Ländern im öffentlichen Bewusstsein und in den Schulbüchern noch immer unterrepräsentiert. Wer sich heute in die griechischen Bergdörfer im Norden des Landes bewegt, kann sie noch treffen, die Menschen, die den Gräueltaten der Wehrmacht gerade noch entgehen konnten. Zwischen 1941 und 1944 wurden 1770 griechische Ortschaften von den Besatzern geplündert, niedergebrannt und zum Teil völlig zerstört. In etwa 100 anerkannten Märtyrerdörfern verübten die Deutschen Massaker mit dem Ziel, den linken Widerstand im Bergland zurückzuschlagen. Zehntausende mussten dabei ihr das Leben lassen.
Am Sonntag gedenken Nachkommen, Dorfbewohner, lokale Vereine und offiziellen Vertreter Deutschlands, Russlands und Griechenland anlässlich des 75. Jahrestages eines der beiden Massaker in Mesovouno den Opfern. An diesem Tag im Jahr 1941 fielen mehr als 800 Soldaten der Wehrmacht dort ein, trieben alle Männer im Alter von 16 bis 60 Jahren zusammen, töteten 142 Menschen mit Maschinengewehren und legten die Häuser in Brand, nachdem sie Frauen, Kinder und Senioren binnen einer Frist von zwei Stunden aus dem Dorf vertrieben hatten. Dabei wurde der sogenannte Keitelerlass umgesetzt, also Richtlinien, nach denen jede Auflehnung gegen die Besatzungsmacht als kommunistisch gedeutet wurde, gegen die mit besonderer Härte vorgegangen werden sollte. Die Nachbardörfer Mesovouno und Pirgi, am westlichen Rand des Gebirges Vermio gelegen, gehören außerdem zu den Orten, die im Zuge der Aktion »Maigewitter« am 23. April 1944 angegriffen wurden. Das Doppelmassaker forderte mindestens 450 Opfer.
In dieser Woche besuchte eine Gruppe aus dem Umfeld des Griechischen-Deutschen Verein Dialogos aus Delmenhorst einige der Dörfer, wanderte auf den steilen Wegen in den Wäldern entlang der Strecke, wo Dorfbewohner und Partisanen seinerzeit Zuflucht suchten. Durch die Berichterstattung im lokalen Fernsehen verbreitete sich die Information über ihren Aufenthalt. Zwischen den Apfelbaumfeldern in Pirgi – die Gruppe befand sich auf dem Abstieg – suchte ein Dorfbewohner die Gruppe auf. Gern öffnete Manolis Tsiakas – wie andere Zeitzeugen auch – ihnen die Tür, um Rede und Antwort zu stehen und von schmerzhaften Erlebnissen zu erzählen. Tsiakas ist Sohn eines Überlebenden aus Pirgi. Sein Vater Dimitrios, der sich während des Massakers von 1944 in den umliegenden Wäldern und Schluchten versteckte, berichtete davon, wie er nach seiner Rückkehr das Dorf dem Erdboden gleichgemacht vorfand: »Als ich hier ankam war alles platt, nur die Kirche und ein Haus standen noch. Wir haben eine Hütte gebaut, mein Vater und ich und die, die übrig geblieben sind.« Auch für die Besucher ist das Erinnern an die Massaker eng mit der Frage der Entschädigung verknüpft. »Unsere Familie hat 12 Mitglieder verloren, darunter eine Tante mit drei Kindern«, sagt der 86-Jährige Tsiakas, »Krümel haben die uns gegeben. 1961 oder 1962, ich weiß nicht mehr genau, haben wir ein paar Krümel bekommen.«
Bereits im ersten Jahr der Besatzung wurden griechische Güter im Wert von über 70 Millionen Reichsmark nach Deutschland verschickt. Danach benötigten die Deutschen die erbeuteten Ressourcen vor Ort. Durch Willkürmaßnahmen entzogen sie den Dörfern für Jahrzehnte die Lebensgrundlage. Weil die Ortschaften aber eine geringe Zahl an Menschenopfern zählten, machen sich einige Bergdörfer wie Ermakia und Ano Grammatiko wenig Hoffnung, in Griechenland und anderswo als Opfergemeinde wahrgenommen zu werden. Obwohl die NS-Machthaber im System von Protokollen ihre Aktionen detailliert notiert haben, scheint es kein Leichtes zu sein, an die entsprechenden Beweismittel zu gelangen.
Vor dem Hintergrund der negativen Rolle Deutschlands in den aktuellen Verhandlungen um Reform des griechischen Staats- und Wirtschaftssystems, liegt die politische Dimension der deutschen Besatzung auf der Hand. Falls die historische Auseinandersetzung weiter zunehmen sollte, ist die Frage der Anerkennung der deutschen Schuld nicht nur eine erinnerungskulturelle, sondern auch eine juristische und monetäre. Die Reparationsforderungen, die der parlamentarische Ausschuss in Griechenland mit 269 Milliarden Euro beziffert, sind aus Sicht der Regierung in Berlin nicht berechtigt. Das länder- und generationsübergreifende Erinnern sollte darunter nicht leiden – sofern die Reperationsfrage weiterhin aufgeworfen werden kann.
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