Doppelt hält besser

Bei der Fachkräftesuche wird neben Flüchtlingen auch auf Arbeitsmigration gesetzt

  • Sebastian Haak, Suhl
  • Lesedauer: 4 Min.

Es klingt wie ein ganz großer Widerspruch - und für manche vielleicht sogar danach, dass da Menschen gegeneinander ausgespielt werden sollen: Einerseits sind im vergangenen Jahr hunderttausende Menschen nach Deutschland gekommen - geflohen ebenso vor Krieg und Gewalt, wie sie auf einen guten Job hoffen. Alleine nach Thüringen kamen damals nach offiziellen Zahlen etwa 30 000 Menschen. Und trotzdem holt die Industrie- und Handelskammer Südthüringen nun weitere Nicht-Deutsche in den Freistaat; Menschen, die hier ebenfalls auf einen guten Job hoffen. Dass das nicht zueinander passt, bestreitet neben Vertretern der Kammer allerdings auch Thüringens Arbeitsministerin, die jeder Sympathie für den Ausbeuter-Kapitalismus unverdächtig ist.

Konkret geht es um 20 Jugendliche aus Vietnam, die die Kammer im Rahmen eines Projektes im Jahr 2017 in die Mitte Deutschlands holen will. Sie besuchten in ihrer Heimat gerade einen Deutschkurs, damit ihnen der Einstieg in den Arbeitsmarkt hier leichter falle, sagt der Hauptgeschäftsführer der IHK Südthüringen, Ralf Pieterwas. Sieben Unternehmen der Region hätten schon ihr Interesse an den jungen Menschen bekundet. Die Kosten des Projekts in Höhe von etwa 100 000 Euro würden ausschließlich aus Mitteln der Kammer sowie der daran beteiligten Unternehmen getragen.

Warum die IHK derart viel Geld in dieses Projekt steckt und die Mittel nicht zum Beispiel dafür nutzt, um syrische Flüchtlinge zu integrieren, die bereits in Deutschland oder Thüringen sind und arbeiten wollen? Menschen, bei denen ebenfalls die Sprache eine große Hürde für deren Integration in den Arbeitsmarkt ist. Pieterwas sagt, die Syrer seien da. »Und die Vietnamesen bleiben da.« Womit er nicht zuletzt auf die Erfahrungen von Unternehmen wie Pharmaglas in Neuhaus am Rennweg anspielt. Dessen Geschäftsführerin, Helga Zimmermann, sagt, sie habe bereits einen Syrer bei sich eingestellt - mit dem Ergebnis, dass dieser dann nach kurzer Zeit zu seinem Vater nach Bremen gegangen sei. Wieder, sagt sie, fehle ihr damit jemand im Unternehmen. Dass der Syrer zuvor noch zwei seiner Landsleute bei ihr angelernt habe, sei für sie nur ein schwacher Trost. Weil sie sich nicht sicher sei, dass diese Menschen langfristig bleiben.

Bei den Vietnamesen dagegen, sagen Pieterwas und der Präsident der IHK, Peter Traut, vertraue man darauf, dass sie sich in der ländlich geprägten Südthüringer Region integrieren würden. Es gebe doch viele kleine vietnamesische Gemeinschaften auch in Südthüringen, sagen sie. Jedenfalls viel mehr als syrische Gemeinschaften. Nicht zuletzt deshalb, weil zu DDR-Zeiten Menschen aus Vietnam als Arbeiter nach Deutschland gekommen seien. Und: Weil die Vietnamesen nicht aus einem Bürgerkriegsland kämen und deshalb eine gute Schulausbildung genossen hätten, sei es viel einfacher, aus ihnen Fachkräfte zu machen, als zum Beispiel aus Menschen aus Syrien oder Irak, die zwar häufig von sich behaupteten, studiert zu haben, aber eine völlig andere Vorstellung von Studium hätten, als dies in Deutschland üblich sei.

Dass die Wirtschaft nun versucht, die Flüchtlinge und andere ausländische Arbeitskräfte gegeneinander auszuspielen, solche Vorwürfe jedenfalls weisen Pieterwas und Traut ebenso vehement zurück, wie Thüringens Arbeitsministerin Heike Werner (LINKE) das Projekt lobt. Sie schaue sehr positiv auf dieses Vorhaben der Kammer, sagt Werner. Es zeige, dass die IHK alle Möglichkeiten ausschöpfe, um den Fachkräftebedarf der Unternehmen in der Region zu decken. Das könne nur dadurch gelingen, dass verschiedene Arbeitsmarktinstrumente parallel angewendet würden. Flüchtlinge zu Arbeitskräften zu machen, sei dabei ebenso wichtig wie die Zuwanderung von Nicht-Flüchtlingen auf den Arbeitsmarkt des Freistaates zu ermöglichen. »Es geht ja nicht darum, die Vietnamesen statt der Flüchtlinge zu integrieren, sondern beides zu schaffen«, sagt Werner.

Nach Zahlen des Arbeitsministeriums braucht Thüringen bis 2035 etwa 280 000 Fachkräfte zusätzlich - um Menschen zu ersetzen, die in Rente gehen, um Jobs zu besetzen, die durch Wirtschaftswachstum entstehen. Für Südthüringen - eine Region, in der die Arbeitslosigkeit stellenweise auf einem Niveau wie in Boom-Regionen in Baden-Württemberg oder Bayern liegt - rechnet die IHK damit, dass 2035 etwa 57 000 Erwerbstätige fehlen werden, wenn die Beschäftigungsquote der 25- bis 65-Jährigen sich nicht nachhaltig ändert und die aktuellen Bevölkerungsprognosen zutreffend sind.

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