China und der Rest der Welt
Der neunte »World Nuclear Industry Status Report« liefert einen Lagebericht zur Atomkraft
Der seit Jahren von der Kernkraftlobby beschworene Mythos einer Renaissance der Atomenergie lässt sich inzwischen nur noch schwer aufrechterhalten. Denn aus einer globalen Perspektive fällt das Wachstum der Kernenergie deutlich hinter dem der erneuerbaren Energien zurück. Dennoch ist kein Ende des Atomzeitalters in Sicht. Das zeigt der jährliche »World Nuclear Industry Status Report« (WNISR) des Energieexperten Mycle Schneider, der die Ergebnisse des Reports am Mittwoch in Berlin vorstellte.
In dem global rückläufigen Trend der Atomenergie stellt China die einzige große Ausnahme dar. Dort wird laut Schneider der Ausbau von Atomkraftwerken weiterhin massiv fortgesetzt. Auch der in diesem Jahr bisher einzige neu ans Netz geschlossene Reaktor steht in der Volksrepublik. »Wenn man China ausklammert, hat sich eigentlich fast nichts getan«, so Schneider.
Doch die Position der Atomkraft auf dem weltweiten Strommarkt wird immer unsicherer. »Die knallharte Konkurrenz der erneuerbaren Energien wird immer stärker und immer internationaler«, meint Schneider. Den Atomunternehmen geht es zunehmend schlechter, viele sind hoch verschuldet. Schneider befürchtet, die kritische Wirtschaftslage der Unternehmen könne sich künftig in Sicherheitsmängeln in den Kraftwerken niederschlagen. Mittelfristig rechnet der Energieexperte damit, dass mehr Reaktoren vom Netz genommen werden und man gleichzeitig die Laufzeiten der geschrumpften AKW-Flotten verlängert.
In China hat die Atomkraft im Vergleich zu erneuerbaren Energien noch immer eine deutlich größere Bedeutung. Und das obwohl China auch bei den Investitionen in Erneuerbare bemerkenswerterweise die Vorreiterrolle inne hat: Mit über 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr für die erneuerbaren Energien liegt China auf dem ersten Platz. Mit großen Abstand folgen die USA (44 Milliarden), Japan (36 Milliarden) und Großbritannien (22 Milliarden). Deutschland liegt mit einem Betrag von 8,5 Milliarden Euro pro Jahr auf Platz sechs.
Laut Schneider hat Japan zwischen 2006 und 2015 die Produktion von Atomkraft drastisch verringert und 56 Prozent des Atomstroms substituiert. Neubauten von Kraftwerken gab es keine mehr. Damit ist Japan inzwischen nicht mehr in den Top 5 der 31 atomkraftproduzierenden Länder. Die Top 3 bilden China, die USA und Frankreich, Deutschland befindet sich auf Platz sieben.
Insgesamt sind in Europa inzwischen 50 Reaktoren weniger am Netz als zu den Hochzeiten Ende der 80er Jahre. Trotz des Abwärtstrends glaubt der Professor für Wirtschafts- und Infrastruktur der Technischen Universität Berlin, Christian von Hirschhausen, nicht an ein Ende der Atomkraft. Er ist überzeugt, dass Großmächte wie China, Russland oder die USA weiter an der Atomenergie festhalten werden. Während Russlands Präsident Wladimir Putin umherlaufe und Atomkraftwerke verschenke, halte die USA »krampfhaft an der Fiktion der nuklearen Weltmacht fest«, so Hirschhausen. Denn wer die zivile Atomkraft hat, der hat auch Atomwaffen. Es sei daher notwendig, in der Atomkraftdebatte die politische Dimension mitzudenken. Ein rein ökonomisches Argument für die Atomkraft, so Hirschhausen, gebe es jedenfalls nicht mehr.
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