Berliner Nazis veröffentlichen Liste mit jüdischen Geschäften
Grünen-Politiker Beck: »Angriff auf unsere offene Gesellschaft« / Facebook sieht keinen »Verstoß gegen Gemeinschaftsstandards«
Gezielte Provokation zum 78. Jahrestag der Reichspogromnacht: Im sozialen Netzwerk Facebook hat am Mittwoch eine Berliner Neonazigruppe eine Karte veröffentlicht, auf der Adressen von etwa 70 jüdischen Geschäften und anderer Einrichtungen in der Hauptstadt verzeichnet sind, wie der »Tagesspiegel« als erstes unter Berufung auf Recherchen der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) berichtete.
In der Karte eingetragen waren unter einer Überschrift in Fraktur mit den Worten »Juden unter uns« neben Denkmälern und Friedhöfen auch Geschäfte und Restaurants. Gepostet hatten die Neonazis ihr antisemtisches Machwerk mit dem Hinweis »Heut ist so ein schöner Tag!« und damit direkten Bezug zur Reichspogromnacht gezogen, die sich am Mittwoch jährte.
Wie der »Tagesspiegel« weiter berichtet, habe die MBR gemeinsam mit dem Bundestagsabgeordneten Volker Beck (Grüne) die betroffenen jüdischen Einrichtungen über die Hetze in Kenntnis gesetzt. »Ausgerechnet am 9.11. eine solche Provokation - die Botschaft ist klar: Sie wollen das Undenkbare wieder denkbar machen«, zeigte sich Beck via Facebook entsetzt. Er bewertete die antisemitische Provokation als »einen Angriff auf unsere offene Gesellschaft«.
»Wir betrachten diesen Post als einen Aufruf zu Straftaten gegen jüdische Menschen und Einrichtungen. Wir verlangen, dass die Staatsorgane sich mit den Betreibern der Seite auseinandersetzen und Facebook den Beitrag umgehend löscht«, erklärte das »Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus«. Doch das ist wieder einmal schwerer als gedacht: Beck teilte via Twitter mit, das Posting sei bereits bei Facebook angezeigt worden, soll dort aber nach einer Prüfung als »kein Verstoß gegen Gemeinschaftsstanddards« gewertet worden sein. Der Grünen-Politiker forderte Bundesjustizminister Heiko Maas auf, sich des Falles anzunehmen. Nach Informationen der MBR ist die rechtsradikale Gruppe in der Vergangenheit bereits mehrfach durch rassistische und antisemitische Ausfälle aufgefallen. Das aktuelle Posting findet sich auch weiterhin auf deren Profilseite. Zwar war es von den Neonazis offenbar zwischenzeitlich gelöscht worden, wurde aber am Donnerstag erneut hochgeladen und durch Kommentaren zur aktuellen Berichterstattung in dem Fall ergänzt.
Auch der Berliner VVN-BdA äußerste sich schockiert zu der antisemitischen Karte: »In unserer Vereinigung sind zahlreiche Überlebende des Holocaust und Angehörige von dessen Opfern organisiert. Sie trifft dieser Antisemitismus an einem Tag wie dem 9. November besonders schmerzhaft«, erklärte die antifaschistische Vereinigung. Es handelte sich eindeutig um einen Aufruf zum Pogrom. Deratige Postings erinnern den VVN-BdA an die »Feindeslisten« der Berliner Neonaziszene, die unter anderem vor einigen Jahren im Zusammenhang mit dem »Nationalen Widerstand Berlin« für Aufregung sorgten.
Immer wieder zieht Facebook heftige Kritik auf sich, weil es auf Hinweise auf rechtsradikale Beiträge entweder zu spät oder gar nicht reagiert. Erst in der vergangenen Woche hatte deshalb ein Würzburger Anwalt bei der Staatsanwaltschaft München Strafanzeige gegen Facebook-Chef Mark Zuckerberg und weitere Manager des Konzerns gestellt, weil er ihnen Beihilfe zur Volksverhetzung vorwirft. Derselbe Anwalt hatte bereits im vergangenen Jahr eine vergleichbare Anzeige bei der Hamburger Staatsanwaltschaft eingereicht. Auch diese leitete ein Ermittlungsverfahren ein, kam aber Anfang 2016 zu dem Ergebnis, dass Zuckerberg und andere Facebook-Verantwortliche sich außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der deutschen Justiz aufhielten. Daraufhin stellte die Anklagebehörde diese Ermittlungsverfahren ein.
In der Vergangenheit hatten rechtsradikale Gruppen mit ähnlichen antisemtischen Provokationen wiederholt von sich Reden gemacht. Einer der bekanntesten Fälle stammt aus Dortmund: Ein Mitglied der Neonazi-Partei »Die Rechte« wollte 2014 vom Stadtrat eine Auflistung aller Juden in der Stadt samt Aufschlüsselung nach Stadtbezirken haben. Dies sei »für die politische Arbeit« seiner Partei notwendig, hatte er die schriftliche Anfrage begründet. mit Agenturen
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