Wien warnt vor Kündigung von Flüchtlingsdeal

Minister: EU kann Ankaras Bedingungen nicht erfüllen

  • Lesedauer: 3 Min.

Brüssel. Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz hat die EU aufgefordert, sich auf eine Aufkündigung des Flüchtlingsabkommens durch die Türkei einzustellen. Europa könne mehrere Bedingungen Ankaras für die weitere Zusammenarbeit in diesem Bereich »definitiv nicht erfüllen«, sagte Kurz am Montag bei Beratungen der EU-Außenminister in Brüssel. Es sei deshalb »notwendig, dass wir uns darauf vorbereiten, dass der Flüchtlingsdeal aufgekündigt wird«.

Der Fall des Visa-Zwangs für türkische Bürger und die Beschleunigung der EU-Beitrittsverhandlungen seien zwei Bedingungen Ankaras, die nicht erfüllt werden könnten, sagte Kurz. Die EU müsse deshalb »dringend« Vorkehrungen treffen, »dass wir selbst imstande sind, den Migrationsstrom zu stoppen«, wenn der Flüchtlingsdeal durch die Türkei aufgekündigt werde.

Angesichts des verschärften Vorgehens der türkischen Regierung gegen ihre Gegner seit dem gescheiterten Militärputsch im Juli berieten die EU-Außenminister in Brüssel über den künftigen Kurs gegenüber Ankara. Die Türkei ist seit 2005 Kandidat für einen EU-Beitritt. Die Verhandlungen kamen lange nicht voran. Erst die stärkere Zusammenarbeit in der Flüchtlingskrise seit Ende 2015 gab den Gesprächen neuen Schwung - der nun aber wieder erlahmt ist.

Die EU hatte Ankara in dem Flüchtlingsdeal eine beschleunigte Aufhebung des Visa-Zwangs für türkische Bürger in Aussicht gestellt - eigentlich bis spätestens Oktober. Die Türkei weigert sich aber, als Voraussetzung ihre weit gefassten Anti-Terror-Gesetze zu ändern. Ankara hat schon mehrfach gedroht, das Flüchtlingsabkommen ohne die Visa-Freiheit platzen zu lassen.

Derweil hat der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat von der EU eine Entscheidung über einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen bis zum Ende des Jahres gefordert. Andernfalls werde er ein Referendum veranlassen, sagte er am Montag in Ankara. »Als Staatspräsident sage ich, dass wir uns bis zum Jahresende gedulden, dann befragen wir das Volk.«

Schon am Wochenende hatte Erdogan eine Volksabstimmung über einen Abbruch der Verhandlungen ins Spiel gebracht. In der EU herrscht Uneinigkeit über das Thema. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, der am Montagabend zu politischen Gesprächen nach Ankara reisen wollte, äußerte sich zunächst nicht öffentlich zur Debatte.

Erdogan warf mehreren europäischen Ländern, darunter Deutschland, erneut vor, die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK zu unterstützen. Die PKK als Terrororganisation zu deklarieren, reiche nicht aus, sagte der türkische Präsident. Man müsse gegen deren Anhänger vorgehen.

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hat Minister Steinmeier aufgefordert, sich beim Besuch in der Türkei für verfolgte Journalisten einzusetzen. »Die faktische Aufhebung der Pressefreiheit und die systematische Hetzjagd türkischer Behörden auf kritische Journalisten dürfen nicht ohne Antwort des deutschen Außenministers bleiben«, erklärte DJV-Vorsitzender Frank Überall in Berlin. Agenturen/nd

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!