Sea Watch fordert Aufklärung über libyschen Angriff
LINKE-Politiker Hunko kritisiert Ausbildung libyscher Einheiten auf EU-Kriegsschiffen als Zynismus
Die Rettungsorganisation »Sea Watch« hat am Mittwoch das Auswärtige Amt aufgefordert, sich für die Aufklärung des Angriffs der libyschen Küstenwache auf ein mit Flüchtlingen besetztes Schlauchboot einzusetzen. Der Vorfall ereignete sich am 21. Oktober rund 30 Kilometer von der Küste entfernt, wobei laut dem damals anwesenden Schiff »Sea Watch II« mindestens 20 Tote zu verzeichnen waren. Soldaten hätten die Flüchtlinge mit Stöcken geschlagen und die Crew vom Verteilen der Rettungswesten abgehalten. Eine Panik sei daraufhin ausgebrochen und viele Migranten wären ins Wasser gesprungen. Die Hilfsorganisation veröffentlichte Beweisfotos und stellte in der Folge eine Strafanzeige gegen die libysche Küstenwache.
Der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Markus Ederer, hielt sich jedoch bedeckt. Es gäbe »kein eindeutiges Lagebild«, hießt es in einer Antwort auf eine schriftliche Anfrage des LINKEN-Abgeordneten Andrej Hunko. »Über den Ort des Geschehens, als auch den eigentlichen Vorgang gibt es bisher widersprüchliche Aussagen«. Ein libyscher Sprecher hatte zuvor erklärt, es sei lediglich eine Patrouille an Bord des Hilfsschiffes gegangen, um zu überprüfen, ob es sich in libyschen Hoheitsgewässern aufhalte.
Die Sea-Watch wies diese Aussage von Ederer jedoch entschieden zurück. Positionsdaten des Schiffes und der Satellitenanlage, sowie Foto-, Log- und Videobeweise würden belegen, dass die »Sea Watch 2« sich zu keinem Zeitpunkt in libyschen Hoheitsgewässern befunden hätte. Die Aussage der libyschen Küstenwache sei damit eindeutig falsch.
Der europapolitische Sprecher der Linksfraktion, Hunko, forderte die Bundesregierung auf, Ermittlungen bezüglich des Angriffs aufzunehmen, da auch deutsche Staatsbürger auf dem Rettungsschiff von dem Einsatz betroffen waren. Der Fall müsse zudem vor dem internationalen Seegerichtshof verhandelt werden, hieß es in einer Mitteilung vom Donnerstag.
Hunko kritisierte die Ausbildung von 78 Mitgliedern der libyschen Küstenwache auf zwei Schiffen der EU-Militäroperation EUNAVFOR Med/Sophia seit Oktober. »Es ist ein nicht hinnehmbarer Zynismus, wenn diese brutalen libyschen Einheiten jetzt auf EU-Kriegsschiffen ausgebildet und unterstützt werden«, so der Politiker. Die Täter des Angriffs würden sich »vermutlich« nun auf eben diesen Kriegsschiffen befinden. Hunko forderte die EU-Militärmission auf, Ermittlungen aufzunehmen.
Auch die »Sea Watch« kann nicht ausschließen, dass die beteiligten Soldaten nun Teil des Ausbildungsteams sind. Kritisiert werden müsse die Zusammenarbeit aber auch unabhängig davon, so die Hilfsorganisation. »Durch die Kooperation der EU mit Libyen unterstützt sie Menschenrechtsverletzungen, zum Beispiel illegale Rückführungen von Booten, die es auf das Meer geschafft haben, wie sie von der Libyschen Küstenwache regelmäßig praktiziert werden.«
Hunko geht nicht davon aus, dass bei der Ausbildung der libyschen Truppen die Seenotrettung im Vordergrund steht, wie dies vom Auswärtigen Amt behauptet wird. »Vielmehr soll die Küstenwache zum Türsteher Europas aufgebaut werden, um unerwünschte Flüchtlinge auf dem Weg in die Europäische Union abzufangen und in libyschen Lagern zu internieren.« Selbst die EU-Grenzagentur Frontex hätte in ihrem jüngsten Lagebericht erklärt, dass die Anführer der libyschen Schleusernetzwerke aus aktiven oder ehemaligen Angehörigen der Polizei und des Militärs bestehen. »Dieses Netzwerk gleichzeitig ausbilden und bekämpfen zu wollen ist schizophren.«
Im Mittelmeer hatte sich währenddessen in den vergangenen zwei Tagen ein neues Drama ereignet. Bei vier Schiffbrüchen sind nach Behördenangaben mehr als 340 Menschen ums Leben gekommen. Allein etwa 100 Menschen starben nach Angaben der internationalen Migrationsbehörde IOM in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag, wie Sprecher Flavio Di Giacomo auf Twitter mitteilte. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen habe 27 Menschen von einem verunglückten Schiff retten können, auf dem insgesamt 130 Menschen von Libyen aus unterwegs waren. »Diese Tragödie ist einfach unerträglich«, schrieb Ärzte ohne Grenzen auf Twitter.
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