Unverschämt - und gut

Die Fußballer von RasenBallsport Leipzig reisen nach Leverkusen, um in der Bundesliga die Tabellenführung zu übernehmen

Die Tabelle lügt nicht. Nach fast einem Drittel der Saison darf man diese Fußballweisheit schon mal bemühen. Ein Beweis: Der FC Bayern München thront ganz oben. Dass ein Aufsteiger Zweiter ist, könnte die Aussagekraft nur dann mindern, wenn er nicht RasenBallsport Leipzig hieße. So sehr jede traditionalistische Fanseele gegen diesen Klub aufbegehrt, an dieses Tabellenbild konnte sich ein jeder in der Länderspielpause gewöhnen. Und wenn nicht alles täuscht, muss man das in der Bundesliga auch langfristig tun.

»Leipzig ist mit den finanziellen Möglichkeiten und professionellen Strukturen kein normaler Aufsteiger«, sagt Roger Schmidt. Der Trainer empfängt mit seiner Leverkusener Mannschaft am Freitagabend den neuen Konkurrenten. Bei Bayer konzentriert man sich in der Auseinandersetzung mit RB verständlicherweise nur auf das Sportliche. Wie soll ein Werksklub auch gegen eine Red-Bull-Filliale wettern. Übrig bleibt, fast folgerichtig, nur Lob: »Das Potenzial wird in Leipzig optimal ausgeschöpft«, meint Schmidt.

In bislang zehn Ligaspielen hat es noch kein Gegner geschafft, RB zu schlagen. Bei sieben Siegen und drei Unentschieden schossen die Leipziger mit 20 Toren die drittmeisten der Liga und kassierten mit sieben Gegentreffern die zweitwenigsten. Bleiben sie auch in Leverkusen ungeschlagen, sorgen sie für einen neuen Rekord in der Bundesliga. Vor 23 Jahren erlitt der MSV Duisburg als Aufsteiger am elften Spieltag seine erste Niederlage. Anerkennung ist also angebracht, sogar mit Blick auf das Monetäre. Denn diese Leipziger Bilanz führt schnell zu einer anderen Fußballweisheit: Geld schießt Tore. Hier folgt dem Ja jedoch ein Aber. Denn mit Geld muss man auch umgehen können. 50 Millionen Euro gab RB Leipzig vor dieser Saison für neue Spieler aus. Der VfL Wolfsburg, mit neun Punkten Fünftletzter, investierte nur zwei Millionen weniger. Beim Hamburger SV summierten sich die Transferausgaben in den vergangenen drei Jahren auf fast 100 Millionen Euro, der Alltag beim Tabellenletzten heißt aber wieder mal nur Abstiegskampf. Auch hier lügt die Tabelle nicht.

»Unser Star ist das System«, sagt Ralph Hasenhüttl. Der Leipziger Trainer wiederum wird vom RB-Sportdirektor Ralf Rangnick als »entscheidender Faktor« genannt. Hasenhüttl gibt das Lob gern zurück und »will von dem Wissen, das Ralf besitzt, profitieren.« Für viele andere ist die Qualität des Leipziger Kaders, vor allem in der Breite, ein entscheidendes Argument: In sieben von zehn Partien erzielten Einwechselspieler Tore, auch spielentscheidende. Von allem etwas - das ist die Erfolgsmischung in der Messestadt. Entscheider Rangnick kann ohne lästige und tatsächlich oft hemmende Vereinsstrukturen agieren. Mit Hasenhüttl konnte er einen guten Trainer verpflichten, mit dem Geld von Red Bull und einem guten Blick für talentierte Spieler eine konkurrenzfähige Erstligamannschaft zusammenstellen.

Gut kontern können die Leipziger nicht nur auf dem Fußballplatz mit nahezu perfektem Umschaltspiel. Der Klub und seine Fans erwidern auch manche Kritik an ihrem Vereinskonstrukt mittlerweile recht humorvoll. Falls dadurch - und dem durchaus schönen Sport - bei Gegnern Akzeptanzwerte gestiegen seien oder gar Sympathiepunkte geholt wurden sollten, werden sie immer mal wieder leichtfertig verspielt. In der 2. Bundesliga schrieb sich RB Leipzig auf seine faire Fahne, »keine direkten Konkurrenten zu schwächen.« Weil man keine Spieler von denen weggekauft habe. Natürlich nicht! Denn schon in den zwei Zweitligajahren verpflichtete RasenBallsport nur Spieler, die eigentlich in die erste Liga gehören.

Nun, angekommen in der ersten Liga, wollen sie tatsächlich das Image eines Außenseiters pflegen. »Wir haben heute mit einer Mannschaft begonnen, da war nur ein Neuzugang drin, der Rest war eine Zweitligamannschaft«, sagte Hasenhüttl nach dem Sieg gegen Borussia Dortmund. Eine unverschämte Aussage. Etwas respektlos kommentierte der Trainer dann den 3:1-Erfolg gegen Mainz: »Wir haben leider Gottes ein Gegentor kassiert.«

Auch wenn sie in Leipzig manchmal vergessen wollen, wo sie herkommen, ganz genau wissen sie, wo sie hinwollen. Formulierte Ziele sind die Meisterschaft und die Champions League - und der Weg dahin soll kein allzu langer sein. »Man kann von einem Trend sprechen«, sagt Ralf Rangnick beim Blick auf die Tabelle. Dass den mit 24 Punkten Zweiten RB allein die Tordifferenz von der Spitze und vom FC Bayern München trennen, ist für den Sportdirektor »nicht nur eine Momentaufnahme«. Ob der Sportdirektor auch am späten Freitagabend noch dieser Meinung ist? Denn bleiben die RasenBaller auch gegen Bayer Leverkusen ungeschlagen, winkt nicht nur ein Rekord für die Geschichtsbücher, sondern auch die vorübergehende Tabellenführung. »Wo es einen Punkt gibt, gibt es auch drei«, geht Trainer Hasenhüttl die Aufgabe jedenfalls sehr selbstbewusst an.

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