US-Linke streitet um den weiteren Kurs

Die, deren Präsident Donald Trump nicht sein wird, überlegen, wie es nun weitergeht

  • Albert Scharenberg
  • Lesedauer: 8 Min.

Nach dem Schock kommt die Angst: Seit dem Wahlsieg Donald Trumps haben in den Vereinigten Staaten Hunderttausende gegen den künftigen Präsidenten demonstriert. Gleich in seinem ersten Tweet als gewählter Präsident beklagte sich Trump, die Proteste gegen ihn seinen »sehr unfair«. Und er wäre nicht Donald Trump, wenn er keine Verschwörung witterte - hinter den Demonstrationen in dutzenden Städten steckten »bezahlte Aktivisten« und, natürlich, »die Medien«.

Trumps Wahlkampfmanagerin Kellyanne Conway rief Hillary Clinton und Präsident Barack Obama dazu auf, die Proteste zu stoppen. Als ob sie dies nicht längst versucht hätten: Eine »Chance« solle man dem künftigen Präsidenten geben, erklärten beide unisono. Vielleicht, so der Subtext, werde sich der Präsident Trump ja doch noch unterscheiden vom Kandidaten Trump.

Albert Scharenberg

Albert Scharenberg, geboren 1965 in Leer/Ostfriesland, ist seit 2012 Ko-Direktor des New Yorker Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Zuvor arbeitete er als Redakteur der Monatszeitschrift »Blätter für deutsche und internationale Politik» und als Dozent für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin.

Bereits wenige Tage nach der Wahl hat sich diese Hoffnung allerdings als Illusion erwiesen. »President-elect« Trump hat erneut angekündigt, unmittelbar nach seinem Amtsantritt im Januar bis zu drei Millionen Menschen ohne gültige Aufenthaltserlaubnis außer Landes schaffen zu wollen. Berichten zufolge bereitet sein Team den schnellstmöglichen Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen vor. Und Trump hat einen offen Rechtsradikalen zu seinem Chefberater im Weißen Haus ernannt: Stephen Bannon, der »Breitbart News« nach eigener Aussage zur Plattform der sogenannten alt-right, der »alternativen Rechten« aus weißen Nationalisten, Rassisten und Antisemiten, gemacht hat.

Obama und Clinton können die Proteste nicht stoppen, weil Trump die Befürchtungen, die viele Menschen umtreiben, immer wieder bestätigt. Hinzu kommt, dass es sich bei den Demonstranten eben gerade nicht nur um die »üblichen Verdächtigen« handelt, im Gegenteil: Auf die Straße gehen gerade junge Menschen und jene, die von der Politik des künftigen Präsidenten akut bedroht sind: die Einwanderer, darunter auch solche ohne Papiere, und Muslime.

Die Demonstrationen sind vor allem Ausdruck des Unbehagens und der Angst, ja der Verzweiflung, aber sie sind spontan und artikulieren noch keine Strategie, wie Trump künftig zu begegnen sein wird (sieht man einmal ab von der naiven Annahme, man könne die Mehrheit im Wahlmännerkolleg noch drehen). Immerhin senden die anhaltenden Proteste ein klares Signal, dass sich breiter Widerstand gegen eine »Normalisierung« der Präsidentschaft Trumps formiert.

Fest steht aber auch: Mit dem Wahlsieg und der Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses im Rücken wollen Trump & Co »durchregieren«, und man wird eine Intensivierung des Protests und langen Atem benötigen, um die Pläne der neuen Regierung an der ein oder anderen Stelle zu durchkreuzen.

Katerstimmung bei den Demokraten

Die parteiinterne Diskussion der Demokraten über die Gründe für den Erfolg Trumps und mögliche Gegenstrategien trägt einigermaßen bizarre Züge. Denn das Clinton-Lager weigert sich schlicht, das eigene Versagen anzukennen, und führt die Niederlage ausschließlich auf externe Faktoren, wie etwa die FBI-Intervention in den Wahlkampf, zurück. Am liebsten will man gar keine Fehleranalyse, sondern möglichst schnell zur Tagesordnung übergehen. Angesichts der Kräfteverhältnisse stehen die Chancen dafür gar nicht mal schlecht.

Umgekehrt verhält es sich beim linken Flügel, dem unter anderen MoveOn.org, Progressive Democrats, People for Bernie, Working Families Party und einzelne Gewerkschaften (wie National Nurses United und Communications Workers of America) zuzurechnen sind. In diesem Spektrum werden - nicht nur hinter vorgehaltener Hand - die Fehler von Clintons Wahlkampfführung ebenso kritisiert wie die unübersehbaren Schwächen der Kandidatin selbst. Die Strategen der demokratischen Führung hätten mit der Nominierung Clintons die Wahl Trumps erst möglich gemacht. Von Wikileaks veröffentlichte E-Mails, die eine systematische Benachteiligung von Sanders durch die Parteiführung belegten, hatten Debbie Wasserman Schultz ihren Job als Parteivorsitzende gekostet. Jetzt wollen die linken Demokraten einen Austausch der Führungsriege und personellen Neuanfang um den Abgeordneten Keith Ellison.

Strategisch plädieren Bernie Sanders und seine Verbündeten für eine breite Öffnung der Demokratischen Partei für junge Wählergruppen und eine Neuausrichtung - weg von den großen Geldgebern und hin zur eigenen Basis. Dabei weiß die in der Folge der Sanders-Kampagne erstarkte Parteilinke um die große Unzufriedenheit an der Basis. Fest steht aber auch, dass die Clintons und ihre Verbündeten den Linken das Feld nicht überlassen, sondern die eigenen Legenden und Pfründe mit Zähnen und Klauen verteidigen werden.

Die Gründe für Trumps Wahlsieg werden beim linken Flügel durchaus kontrovers diskutiert. Denn auch wenn der künftige Präsident die Mehrheit der abgegebenen Stimmen verfehlte, hat er doch eine Mehrheit der Wahlmänner und -frauen gewinnen können, die den Präsidenten letztlich wählen. Wie konnte es also dazu kommen, dass so viele Menschen für Trump votierten?

Im Mittelpunkt der Debatte steht die Frage, warum so große Teile der weißen Arbeitnehmerschaft für den Milliardär gestimmt haben. Nicht unähnlich der Diskussionen, die in der Folge von Brexit und dem Aufstieg der AfD auch in Deutschland geführt wurden, stehen sich zwei Erklärungsansätze gegenüber, die jeweils über starke Argumente verfügen: Lag es primär am weit verbreiteten Rassismus der Weißen? Oder ist die Ursache der Niederlage eher in der neoliberalen Vernachlässigung der Arbeitnehmer durch das saturierte demokratische Establishment zu suchen?

Auch wenn diese Aspekte in der aktuellen Diskussion zugespitzt diskutiert werden, die Faktenlage ist komplizierter: Gegen das Rassismus-Argument spricht, dass ausgerechnet der schwarze Kandidat Barack Obama in der weißen Arbeitnehmerschaft 2008 und 2012 mehr Stimmen erzielen konnte als die weiße Kandidatin 2016. Anders ausgedrückt: Obama-Wähler, die jetzt für Trump optierten, dürften bei ihrer Stimmabgabe kaum von Rassismus motiviert gewesen sein.

Andererseits ist ebenfalls offensichtlich, dass der offene Rassismus diese Wähler auch nicht davon abgehalten hat, für Trump zu stimmen, und dass es am rechten Rand eine oft unterschätzte, offen rassistische Klientel gibt, die von Trump geradezu begeistert ist.

Wenig überraschend verweist das Clinton-Lager auf den Rassismus - denn damit trüge Hillary ja erst recht keine Verantwortung für ihre eigene Niederlage, die sie eben als Kandidatin des Establishments, das für die Arbeitnehmerschaft kein attraktives Angebot bereithält, erlitten hat.

Im Sanders-Lager wiederum sieht man - ohne den Rassismus zu leugnen - Clinton persönlich in der Verantwortung für den massiven und, so der Tenor, unnötigen Verlust von Stimmen in der weißen Arbeitnehmerschaft. In die gleiche Kerbe schlägt etwa die populäre Senatorin Elizabeth Warren, die auch die konzernfreundliche Politik der Demokraten verantwortlich macht.

Soziale Bewegungen in der Defensive

In der Demokratischen Partei, aber auch in den sozialen Bewegungen müssen die Aktiven nun erkennen, dass sich mit der Niederlage auch ihre politischen und persönlichen Pläne für die Clinton-Adminstration zerschlagen haben. Die Partei ist institutionell derart geschwächt, auch in den meisten Einzelstaaten, dass sie ihr Versprechen - ihr spendet, wir liefern - nicht länger halten kann. Als Minderheit werden die Demokraten fürs Regieren nicht länger gebraucht.

Damit wird auch die Luft für die Bewegungsaktivisten dünner, deren professionelle Führungsfiguren oftmals von denselben Ressourcen abhängen wie die Demokraten und deshalb - weit stärker als die Anhängerschaft - dazu neigen, sich dem politischen Zentrum zuzuwenden. Entsprechend hart verläuft der parteiinterne Kampf um Macht und Einfluss.

Im Schock über Trumps Wahlsieg trat die brutale Niederlage, die die Green Party erlitt, in den Hintergrund. Nachdem Bernie Sanders alleine in den Vorwahlen über 13 Millionen Stimmen erzielt hatte, hegte man hier große Hoffnungen auf ein sehr gutes Ergebnis, auf einen elektoralen Durchbruch. Noch am Vorabend der Wahl fantasierte Jill Stein von einem Ergebnis von über 5 Prozent.

Das hat sich als reines Wunschdenken erwiesen; Jill Stein erhielt gerade einmal 1,2 Millionen Stimmen (1 Prozent) - trotz des eindringlichen Werbens um die Sanders-Wähler, und trotz des Umstands, dass die grüne Kandidatin im Wahlkampf gegen die unbeliebtesten Kandidaten aller Zeiten antrat. Damit stehen die Grünen vor dem Scherbenhaufen ihrer Politik, und es schwer vorstellbar, wie es ihnen künftig gelingen soll, aus dem Ghetto elektoraler Irrelevanz auszubrechen - zumal man innerparteilich bislang auf eine kritische Aufarbeitung der eigenen Strategie verzichtet.

In einem Teil der sozialistischen Linken hat das Versagen der Demokraten einmal mehr eine Diskussion über die Notwendigkeit der Gründung einer linken Partei angezettelt. Junge Aktivisten weisen darauf hin, dass es derzeit großen Zulauf für linke Gruppen gibt; die Democratic Socialists of America etwa haben allein in den ersten zwei Tagen nach der Wahl 1000 neue Mitglieder gewonnen. Die Annahme, dass diese Menschen jetzt eine neue Partei gründen wollen, ist allerdings gewagt. Wahrscheinlicher ist, dass sie sich für den Kampf gegen Trump organisieren und nicht endlos Zeit in einen Parteiaufbau, dessen Erfolgschancen in Frage stehen, stecken wollen.

Aufbruch in den Widerstand

Obschon die Aussichten der Trump-Präsidentschaft düster sind, gibt es positive Zeichen. Die Demonstrationen und der Zulauf, den linke Gruppen erleben, ist kein Zufall. Denn im Vergleich zum Amtsantritt Ronald Reagans 1980 ist die Linke heute - nach dem Aufschwung sozialer Bewegungen in der Folge von Occupy Wall Street und Black Lives Matter sowie nach dem enormen Zulauf, den Bernie Sanders› Präsidentschaftskampagne im Frühjahr erhielt - bedeutend stärker und auch kampfbereiter. Viel wird davon abhängen, wie sich zentrale Akteure des Mitte-Links-Lagers in den kommenden Wochen und Monaten verhalten. Werden Massenorganisationen wie der Sierra Club ihre Hinwendung zur aktivistischen Linken fortsetzen? Dann, so viel steht fest, wird sich auch ein Präsident Trump warm anziehen müssen.

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