EU-Parlament für Ende der Beitrittsgespräche mit der Türkei

Mehrheit der Abgeordneten spricht sich für Aussetzung der Verhandlungen aus, nachdem Staatschef Erdogan ein neues Notstandsdekret verhängte / Gesetz zu Sexualstraftätern zurückgestellt

  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin. Im Europäischen Parlament zeichnet sich eine Mehrheit für die Aussetzung der Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei ab. In einer Debatte über eine entsprechende Resolution begründeten die Vorsitzenden der zwei größten Fraktionen, der Sozialdemokraten (S&D) und der Konservativen (EVP) am Dienstagnachmittag in Strasbourg ihre Haltung mit der anhaltenden Repression unter Präsident Recep Tayyip Erdogan seit dem Putschversuch im Juli.

»Unsere Botschaft an die Türkei ist klar: Die Beitrittsverhandlungen müssen sofort eingefroren werden«, sagte Manfred Weber (EVP). Gianni Pitella (S&D) bekräftigte diese Haltung. »Die Sozialdemokraten unterstützen seit jeher den europäischen Integrationsprozess der Türkei. Aber wir können nicht akzeptieren, was dort gerade geschieht.« Seine Fraktion wollen ein Zeichen setzen gegen »Masseninhaftierungen, Anklagen gegen Parteiführer und Parlamentsabgeordnete sowie Repression von Richtern und Journalisten«.

Weitere Massenentlassungen in der Türkei

Mit einem neuen Notstandsdekret hat der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan fast 10.000 weitere Angehörige der Sicherheitskräfte aus dem Dienst entlassen. Erneut werden außerdem zahlreiche Organisationen geschlossen, darunter 375 Vereine, 18 Stiftungen und ein Gesundheitszentrum. Der Grund sind stets angebliche Verbindungen zu »Terrororganisationen«. In den Ministerien kommt es ebenfalls zu weiteren Massenentlassungen. Auch gegen Medien geht die Regierung mit dem Dekret weiter vor: Sieben Regionalzeitungen und ein lokaler Radiosender müssen den Betrieb einstellen.

Seit der Verhängung des Ausnahmezustands nach dem Putschversuch Mitte Juli kann Erdogan per Dekret regieren. Die Dekrete haben Gesetzeskraft und gelten ab ihrer Veröffentlichung, das Parlament muss sie nur nachträglich bestätigen. Der bereits einmal verlängerte Notstand gilt mindestens bis Mitte Januar.

Die entlassenen Staatsbediensteten werden in Anhängen zu dem neuen Dekret erneut namentlich benannt. Diese Praxis ist umstritten, da die Betroffenen damit öffentlich an den Pranger gestellt werden, ohne jemals von einem Gericht verurteilt worden zu sein.

Unterdessen wird das von der Regierungspartei AKP in der Türkei geplante Gesetz zu Sexualstraftaten an Minderjährigen zunächst zurückgestellt. Der Entwurf werde zurück in die zuständige Kommission überwiesen, erklärte der Ministerpräsident und AKP-Chef Binali Yildirim am Dienstag nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu in Istanbul. Zusammen mit der Opposition im Parlament und mit anderen gesellschaftlichen Gruppen solle der Entwurf überarbeitet werden.

Über das Gesetzesvorhaben sollte ursprünglich am Dienstag im Parlament abgestimmt werden. Kritiker hatten bemängelt, dass das Gesetz in bestimmten Fällen zu Straffreiheit bei sexuellem Missbrauch von Minderjährigen hätte führen können. Der Entwurf hatte vorgesehen, dass die Strafe ausgesetzt werden kann, wenn der Täter sein Opfer heiratet und der sexuelle Kontakt ohne Zwang und Gewalt stattgefunden hatte. Er bezog sich nur auf Fälle vor dem 16. November. Agenturen/nd

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