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Wem gehört Kunst?

In seiner »Fabel vom Weltmuseum« plädiert Arno Bertina geistreich für das kulturelle Gemeineigentum

  • Christian Baron
  • Lesedauer: 3 Min.

Manchmal schlägt eine scheinbare Nischendebatte aus dem Kunstgewerbe den Bogen zur gesellschaftlichen Frage von Eigentum und Besitz. Wer eine Sache besitzt, ist ja noch lange nicht deren Eigentümer. Das klingt trivial, doch wird beides immer wieder durcheinandergebracht. Wem ein Fahrrad gestohlen wurde, der ist nicht mehr in dessen Besitz, doch Eigentümer bleibt er trotzdem. Ähnlich verhält es sich mit Kunstwerken indigener Kulturen und Völker, die sich bis heute in europäischen Museen befinden. In dem bekannten Begriff vom »Preußischen Kulturbesitz« scheint die Differenz zum Eigentum noch versteckt-verschämt hindurch. Denn gerade im postkolonialen Europa bleibt die Frage, wer eigentlich ein legitimer Eigentümer ist, oft unhinterfragt.

Wenn Debatten darüber entbrennen, dann verlaufen sie selten grundlegend, sondern meist formaljuristisch und legalistisch am konkreten Fall. Längst überfällig ist da die geistreiche »Fabel vom Weltmuseum« des französischen Schriftstellers Arno Bertina, die 2014 erschien und jetzt von Bénédicte Savoy ins Deutsche übersetzt wurde. Bertinas Zugriff auf das Sujet in dem kurzen Essay ist hypothetisch und zukunftsweisend. Genau darum enthält er auch einen genauen Blick auf die Gegenwart.

Im Frühjahr 2016, so seine Fiktion, schickten kamerunische Häuptlinge ein Schreiben an die Direktion des Musée du Quai Branly in Paris. Darin fordern sie, Angehörigen des Volkes der Bamileke freien Eintritt ins 2006 eröffnete Museum mit afrikanischer und ozeanischer Kunst zu gewähren. Schließlich sei nicht einzusehen, warum sie Geld dafür bezahlen sollten, die dort residierenden Werke ihrer eigenen Vorfahren zu sehen. Da aus Paris keine Reaktion kommt, folgt ein zweiter Brief: Falls es mit dem freien Eintritt nichts werde, erwirke man über die UNESCO eine Rückführung der Werke nach Kamerun. 2017 erlaubt Paris den freien Eintritt.

Aber die Häuptlinge sind noch nicht zufrieden. Sie haben das Gefühl, Frankreich wolle ein Problem verschleiern. Darum fordern sie, dass auch Wanderausstellungen für die Angehörigen der Völker, denen die Kunstwerke entstammen, frei zugänglich sein sollen. Später wollen sie zusätzlich kostenlose Visa, um die Werke in Europa besichtigen zu können. Die französischen Kulturbeamten verzweifeln: »Es war mehr als ärgerlich, vor diesen paar hundert Stammeschefs buckeln zu müssen, nachdem es gelungen war, in Ceuta, Melilla und Lampedusa Tausende aufzuhalten.«

Eine Lawine kommt in Gang: Italien begehrt freien Eintritt für die eigenen Staatsbürger im Louvre, da dort viele Kunstwerke der Vorfahren zu sehen seien. Kamerun wiederum will künftig auch europäische Kunst in Afrika ausstellen. 2019 ist es dann vollbracht: Frankreich fordert weltweit den freien Eintritt für jeden an allen kulturellen Orten.

In Kombination mit dem kenntnisreichen Nachwort der Übersetzerin, die den politischen Hintergrund beleuchtet, wird dieses kleine Buch zu einem amüsanten Gedankenkompendium über ein häufig verdrängtes Thema. Die Frage »Wem gehört Kunst?« beantwortet Bertina nur indirekt. Er nimmt stattdessen eine globale Perspektive ein mit einem Grundrecht auf freien Zugang zum kulturellen Gemeineigentum. Seine subversive Intervention eignet sich darum nicht nur für regelmäßige Museumsgänger, sondern für alle, die das herrschende Falsche grundlegend in Frage zu stellen bereit sind.

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