Aufrührer, Commandante, Präsident
Zum Tode der kubanischen Revolutionslegende Fidel Castro
Die meisten Kubaner wissen, dass sie mehr verloren haben als einen ungewöhnlichen »jefe maximo«. Fidel Castro steht bis heute für die Besitzverhältnisse in Kuba und seine beispielhaften sozialen Standards: bei vielen Kennziffern für Bildung, Gesundheit, Einkommensunterschiede und Kriminalität erreicht das Land vorbildliche Spitzenwerte im internationalen Vergleich.
In der lateinamerikanischen Macho-Welt zählt, dass Castro ein Kerl con cojones (mit Eiern, d. Red.) war. Er hatte immer wieder unglaublichen Mut bewiesen. Er hat einen Tyrannen mit der Waffe in der Hand niedergerungen und die Supermacht im Norden wiederholt gedemütigt. Gegen keinen anderen wurden so viele Mordkomplotte geschmiedet. Castro war gerade 20, da verfolgten ihn bereits Mörder: die politischen Gangster an der Universität von Havanna Ende der 40er Jahre, dann Killer des später von ihm gestürzten Tyrannen Batista, Verräter aus den eigenen Reihen, enteignete Großgrundbesitzer, Exilkubaner aus Florida Hand in Hand mit der Mafia und der CIA. Dass Castro am Leben blieb, grenzt an ein Wunder. Er hat sie alle ausgetrickst.
Castro verfügte wie kaum ein Anderer über die suggestive Fähigkeit, Menschen mitzureißen. Ob er 2000 oder 20.000 vor sich hatte: Castro verstand es, ihre Aufmerksamkeit zu erringen und sie zu elektrisieren. Er führte immer einen Dialog mit seinem Publikum. Und Castro versteckte seine konkreten Pläne oft in Fragen, kleinen Nebensätzen. Er regte das Auditorium an, seinen Gedanken und Emotionen zu folgen.
Castros Ausstrahlungskraft gründete sich vor allem auf seiner persönlichen Integrität. Selbst seine Kritiker wussten, dass er zu den Ausnahmepolitikern gehörte, die niemals ihre Macht zur persönlichen Bereicherung genutzt haben. Gabriel Garcia Marquez nannte seinen Lebensstil den eines Mönches in Uniform. Castro kokettierte gerne mit dem Don-Quijote-Vergleich: ein edler hochstrebender Geist, der trotz rauer Umwelt an seinen Illusionen festhält und mit schwachen Waffen mutig gegen übermächtige Gegner kämpft.
Fidel Castro wurde am 13. August 1926 als drittes uneheliches Kind des 50-jährigen Großgrundbesitzers Angel Castro und seiner halb so alten Haushälterin Lina Ruz geboren. Castros Zuhause – das Örtchen Biran – liegt in Oriente, einer der schönsten Gegenden Kubas. In Castros Kindheit war dieser Landstrich als der wilde Osten Kubas berüchtigt. Die Staatsmacht saß im fernen Havanna, das Land wurde beherrscht von Banditen und der United Fruit Company mit ihren bewaffneten Sheriffs.
Castros Vater besaß eine eigene Zuckerrohrplantage, Vieh, Wald und eine kleine Nickelmine. Er erinnert sich an seinen Vater als einen Patriarchen wie aus dem Bilderbuch: streitsüchtig und keinen Widerspruch duldend, verschlossen, hart arbeitend, von riesiger Gestalt, grob und aufbrausend. Tatsächlich scheint Fidel Castro viel vom Wesen seines Vaters geerbt zu haben. Die früh entwickelte Willensstärke, die Durchsetzungsfähigkeit und Unbeugsamkeit.
Seine guten schulischen Leistungen ermutigten die Eltern, den Sohn 1941 auf das Jesuitenkolleg Belen in Havanna zu schicken, eine Eliteschule für die Oberschicht. Er begeisterte die Padres mit Intelligenz und Sportlichkeit. In Belen kam er mit den Großen der Weltliteratur in Berührung: Er las Barbusse, Cervantes, Dostojewski, Stendhal, Tolstoi, Zweig.
Und er entdeckte für sich José Marti, mit dem er sich als Freiheitskämpfer identifizierte. Beim Studium seiner Schriften fand Castro Wurzeln für seine spätere Bestimmung. Marti war eine herausragende Führungsperson im antikolonialen Befreiungskampf Kubas gegen Spanien am Ende des 19. Jahrhunderts. Marti erkannte frühzeitig die Gefahr, dass Kuba nach einer Befreiung von der spanischen Fremdherrschaft in die Abhängigkeit der USA geraten könne.
1945 beendete Castro mit einem glänzenden Abschlusszeugnis das Kolleg und nahm ein Jurastudium an der Universität von Havanna auf. Er wollte Anwalt werden und die Bühne der Uni für eine politische Profilierung nutzen. Die Jahre an der Universität entwickelten sich für den jungen Mann zu einer ersten Härteprüfung. Denn der Campus wurde beherrscht vom »gangsterismo« zweier rivalisierender politischer Gruppen, die mit Waffengewalt und Geld Einfluss auf das politische Geschehen der Hauptstadt nahmen.
Castro versuchte sich als Unabhängiger zu betätigen, er machte sich einen Namen als Wortführer und Agitator bei Demonstrationen gegen die korrupte Regierung und sammelte Gleichgesinnte um sich. Den Gangstergruppen ging das zu weit. Sie forderten ihn nachdrücklich auf, den Mund zu halten. Daraufhin entschloss sich der 23-jährige Castro, inzwischen verheiratet und Vater eines dreimonatigen Sohnes, zu einem spektakulären Schritt. Bei einem Auftritt vor den Präsidenten aller Fakultäten und vor 500 Studenten verlas er die Namen aller Gang-Mitglieder. Seine Freunde erinnern sich, dass es damals das Hauptproblem war, ihn lebend aus dem Saal zu bekommen und zu überreden, für einige Zeit unterzutauchen. Schlagartig war Castro in ganz Kuba bekannt. Er galt als einer der hoffnungsvollsten Nachwuchspolitiker und wurde sogar als zukünftiger Staatspräsident gehandelt.
1952 putschte sich General Batista mit an die Macht und beseitigte in Kuba die spärlichen Ansätze bürgerlicher Demokratie. Er hofierte das US-Kapital mit verschwenderischer Großzügigkeit und machte den Gangster Meyer-Lansky zum Chefberater für das Casinowesen. Castro erklärte Batista sogleich in aller Öffentlichkeit den Krieg: »Wenn Batista mit Gewalt die Macht an sich reißt, muss sie ihm mit Gewalt wieder genommen werden!«. Die meisten hielten das für heiße Luft. Batista sagte zu seinem Polizeichef: »Lass den Clown nur machen. Der Schönling ist doch ganz unterhaltsam.«
Castro begann sofort mit dem Aufbau einer illegalen Organisation. Sein Ziel war die unmittelbare Vorbereitung eines bewaffneten Volksaufstands zum Sturz des Diktators. Die kubanischen Kommunisten schätzten zwar den Mut Castros, hielten seine Pläne aber für abenteuerlich und wenig erfolgversprechend.
In tiefer Illegalität und mit wenigen handverlesenen Genossen bereitete Castro seine Aktion vor. Der Plan: Moncada – die zweitgrößte Kaserne des Landes in Santiago de Cuba – im Handstreich einnehmen, die Waffen an das Volk verteilen und einen Aufstand auslösen. Der Sturm auf Moncada am 26. Juli 1953 endete mit einem Desaster. 80 der 113 Angreifer fanden den Tod. Castro überlebte mit viel Glück. Er und seine übrig gebliebenen Genossen wurden zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt.
Der Angriff auf Moncada bedeutete einen tiefen Einschnitt in der Geschichte Kubas. Die Aktion endete zwar mit einer bitteren Niederlage, aber der Tag wird mit Recht als Beginn der kubanischen Revolution gefeiert. Moncada war eine Feuertaufe für die Vorhut. 1955 amnestierte der Diktator Castro mit dem Hintergedanken, ihn bei einer vorgetäuschten Schießerei mit der Polizei zu ermorden. Wieder ein Fehler: Castro erfuhr von der Falle und ging ins mexikanische Exil.
Nach 15 Monaten war er zurück. Mit einer Handvoll Genossen baute er in der Sierra Maestra eine Partisanengruppe auf. In den befreiten Gebieten begann Castro mit der Verwirklichung seines Programms. Er verteilte Großgrundbesitzerland an Bauern und Tagelöhner. Mit Unterstützung Che Guevaras errichtete er medizinische Stützpunkte, viele Bergbewohner erlebten zum ersten Mal in ihrem Leben eine ärztliche Behandlung. Castro hatte die Unterstützung der Bevölkerung.
Die kleine Partisanengruppe verwandelte sich in eine Rebellenarmee, die zwei Jahre später die Regierungsarmee in offener Feldschlacht zerschmetterte und am 8. Januar 1959 mit Castro an der Spitze siegreich in Havanna einzog. Sein Erzfeind Batista und dessen Kollaborateure hatten sich rechtzeitig mit vielen Millionen Dollar nach Florida abgesetzt. Castro und seine engen Vertrauten erkannten, dass die ökonomischen Grundlagen der kubanischen Wirtschaft und die politischen Machtstrukturen schnell und radikal verändert werden mussten, damit das Pendel nicht zurückschlägt. Es ging darum, eine von Washington und Florida aus gesteuerte schleichende Restauration der alten Eliten zu verhindern.
Am 17. Mai 1959 unterschrieb Castro ein Bodenreformgesetz, das in Lateinamerika ohne Beispiel war: Der Landbesitz wurde auf maximal 400 Hektar beschränkt und alle ausländischen Besitzungen wurden enteignet. Dem Latifundismus war das Rückgrat gebrochen. Die allmächtige United Fruit Company verlor mit einem Schlag ihre wichtigsten Besitztümer auf der Insel.
Damit hatte Castro den USA-Imperialismus in seinem Hinterhof auf noch nie gewesene Weise herausgefordert. Im Laufe des Jahres 1960 wurden fast alle großen Betriebe, die Banken und Versicherungsgesellschaften verstaatlicht. Alle Schaltstellen der Macht besetzte Castro mit Kadern der Rebellenarmee. Ein großes Sozialprogramm wurde angeschoben: Errichtung eines Systems kostenloser Gesundheitsbetreuung für alle, Bau von Schulen und Alphabetisierung für Erwachsene und drastische Senkung der Mieten.
Und die Kubaner haben den scheinbar übermächtigen USA widerstanden, sie haben nationale Unabhängigkeit erreicht und ihre nationale Würde verteidigt. Wie jede echte Revolution haben die Kubaner großzügig anderen um ihre Befreiung kämpfenden Völkern geholfen. Kubanische Ärzte sind in vielen Ländern der Welt tätig: nicht in Privatkliniken für Begüterte, sondern in Dörfern und Siedlungen, wo die Unterprivilegierten wohnen.
Welchen Anteil hatte Fidel Castro an diesem Weg? Er erkannte klarer als alle Anderen die konkreten Zielstellungen für den Befreiungskampf des kubanischen Volkes. Castro war vor allem ein begnadeter Politiker, sendungsbewusst, mit einem untrüglichen Instinkt für das praktisch Notwendige und das tatsächlich Machbare. Und er hatte den Mut, ungewöhnliche Wege zu gehen.
Seine politisch wie persönlich größte Herausforderung erlebte Castro beim Zusammenbruch der sozialistischen Länder. Die Insel war nun völlig allein der unbarmherzigen Blockade der USA ausgesetzt. Das Bruttoinlandsprodukt fiel in drei Jahren um 50 Prozent. Das Land schien im Chaos des allgemeinen Mangels zu versinken. Für Fidel Castro war klar: Ein Einschwenken auf die »Neue Weltordnung« kam nicht in Frage – das sozialistische System und die politische Unabhängigkeit Kuba mussten erhalten bleiben.
1993 gelang der Durchbruch mit einem Maßnahmeplan, der an die Neue Ökonomische Politik (NEP) der frühen 20er Jahre in der Sowjetunion erinnerte. Monatelang waren die Vorhaben in unzähligen Versammlungen diskutiert worden. Auf der Festveranstaltung zum 26. Juli 1993 erläuterte Castro die Eckpunkte: Freigabe des Dollarbesitzes, die Zulassung privaten Unternehmertums, das Werben um ausländische Investitionen und der Einstieg in den Massentourismus. »Diese Maßnahmen gefallen uns nicht, einige sind unausstehlich«, sagte Fidel, aber sie würden Kuba die Zukunft sichern. Seit 1994 ging es mit dem Land langsam wieder ökonomisch aufwärts. Seit 2006 ist Castro nicht mehr »comandante en jefe« – der Oberbefehlshaber der Revolution. Er übergab seine Ämter an seinen jüngeren Bruder Raul.
Es war wieder so eine Rede am 17. November 2005 an der Universität von Havanna. Eine lange, frei gehaltene Rede, mit Überraschungen gespickt. Im Alter von 79. Castro hatte wie nebenbei die Frage gestellt: Was wird aus Kuba, wenn ich nicht mehr bin? Er stellte erstmals die These auf, dass die kubanische Revolution besiegbar sei, wenn die Veteranen abtreten. Dabei machte er deutlich, dass dies keine Frage der militärischen Schwäche sei. Kuba sei ein Volk unter Waffen, und das sei im Krieg nicht besiegbar. »Dieses Land kann sich selbst zerstören. Diese Revolution kann sich zerstören, aber die Vereinigten Staaten können es heutzutage nicht mehr. Wir ja, wir können sie zerstören, und es würde unsere Schuld sein.«
Castro machte klar, dass die Zukunft des Sozialismus von dem Bewusstsein und den Ideen derer abhängen, die den Weg gehen wollen. Den Sozialismus mit kapitalistischen Methoden aufzubauen, sei unmöglich. Er sagte den Studenten: »Wir brauchen viele klare Ideen und viele an euch gerichtete Fragen, an euch, die ihr die Verantwortlichen seid, wie der Sozialismus in Zukunft bewahrt werden kann.«
Die Stafette übergab Castro ohne altväterliche Ratschläge, ohne Bitterkeit, aber auch ohne Zweckoptimismus. Der würdige Abschied eines Großen der revolutionären Weltbewegung.
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