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Rauchzeichen aus dem Szenekiez

Traditionelle Demonstration der radikalen Linken erinnert an erstochenen Silvio Meier

  • Paul Liszt
  • Lesedauer: 4 Min.

»Entschlossen, radikal, offensiv …Antifa«, unter diesem Motto zogen etwa 1000 Demonstranten – Hausbesetzer, antifaschistische Gruppen und kurdische Organisationen – am frühen Samstagabend von Friedrichshain in Richtung Schlesisches Tor in Kreuzberg. Die Teilnehmer gedachten wie jedes Jahr dem am 21. November 1992 im U-Bahnhof Samariterstraße von Neonazis ermordeten linken Aktivisten Silvio Meier. In diesem Jahr begann der Protest später als üblich, die Organisatoren warteten mit dem Start bis kurz nach 18 Uhr, damit die Teilnehmer der Gegendemonstration gegen den rechten Bärgida-Aufmarsch in Mitte noch dazu stoßen konnten.

In seinem Aufruf hatte das Bündnis um die Gruppe »Radikale Linke Berlin« eindringlich vor dem Rechtsruck in Deutschland gewarnt und eine Parallele zur Zeit Anfang der 1990er Jahre gezogen, als Silvio Meier ermordet worden war. Wieder würden sich Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte und rechtsextreme Angriffe häufen, auch in der »Wohlfühlstadt« Berlin. Verwiesen wurde auf das Wahlergebnis der AfD bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus und den Bezirksverordnetenversammlungen sowie auf einen rassistischen Angriff im August vergangenen Jahres in der Ringbahn. Zwei Männer aus der rechten Szene hatten dort eine Familie attackiert. Der als Haupttäter geltende Christoph Sch. war im April 2016 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt worden. Der Fall hatte für besondere Empörung gesorgt, weil es hieß, Sch. habe auf die Kinder uriniert, was ihm aber nicht nachgewiesen werden konnte.

Bei der Silvio-Meier-Demo dominierten schließlich andere Themen. Kurdische Gruppen, die zuvor in der Revaler Straße für die Aufhebung des Verbotes der Arbeiterpartei PKK in Deutschland auf die Straße gegangen, waren, schlossen sich mit Fahnen und Transparenten in einem eigenen Block dem antifaschistischen Zug an. Einige Demonstranten gedachten mit einem Banner dem am Freitag verstorbenen langjährigen kubanischen Staats- und Parteichef Fidel Castro.

Mit Sprechchören wandten sich andere gezielt gegen die Polizei. Auch auf einem Hausdach Ecke Rigaer und Silvio-Meier-Straße prangte in großen Lettern das polizeifeindliche Buchstabenkürzel »ACAB«, eine Abkürzung für »All Cops are Bastards«, auf Deutsch »Alle Polizisten sind Bastarde«.

Wütend waren die Demonstranten vor allem wegen der Festnahme einer Aktivistin mit dem Spitznamen »Thunfisch« in Münster vor wenigen Tagen sowie einer Reihe von Hausdurchsuchungen gegen Linke in Berlin im Oktober. Alle Betroffenen werden verdächtigt, sich an Ausschreitungen bei einer Demonstration gegen den Polizeieinsatz in einem linken Hausprojekt in der Rigaer Straße 94 im Sommer beteiligt zu haben.

Als der Aufzug die Rigaer Straße mit den zahlreichen ehemals besetzten Häusern durchquerte, entzündeten Sympathisanten auf Hausdächern Bengalische Fackeln und Feuerwerksbatterien. »Unser Kampf ist erst zu Ende, wenn die herrschenden Verhältnisse am Ende sind«, verkündete ein Sprecher kämpferisch.

Als die Veranstalter die Silvio-Meier-Demo in der Grünberger Straße überraschend für beendet erklärten, verhüllten bunte Nebeltöpfe die Szenerie. Als sich der Rauch verzogen hatte, wollten zahlreiche Teilnehmer auf einer anderen als der abgesprochenen Route weiter durch den Kiez ziehen. Sie kamen jedoch nicht weit. Es gab mehrere Festnahmen. Kurz nach 20 Uhr forderte die Polizei über Lautsprecher die letzten Verbliebenen auf, den Kreuzungsbereich zur Simon-Dach-Straße frei zu machen. Die nachfolgenden Fahrzeuge der Stadtreinigung entsorgten noch die Hinterlassenschaften, die Scherben vereinzelt geworfener Flaschen und Überreste von Feuerwerkskörpern.

Die Erinnerung an den getöteten Silvio Meier, der sich ebenfalls in der Hausbesetzerszene engagiert hatte, stand bereits am Montag bei einer Mahnwache im U-Bahnhof Samariterstraße im Vordergrund. Bis zu 100 Menschen hatten sich am Tatort versammelt, um Blumen und Kerzen an der dortigen Gedenktafel niederzulegen. Lisa Rotdorn vom Vorbereitungskreis kritisierte den Polizeieinsatz bei der Gedenkveranstaltung, bei der die Polizei in diesem Jahr zum ersten Mal auf eine Anmeldung bestanden hatte.

Am Donnerstag verlieh das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg den neu geschaffenen Silvio-Meier-Preis gegen Rechtsextremismus an die Aktionskünstlerin Ute Donner sowie Irmela Mensah-Schramm, die seit Jahrzehnten in ihrer Freizeit Aufkleber und Schmierereien von Neonazis entfernt (»nd« berichtete). Rigoros übermalt sie Nazi-Symbole, Hetze gegen Flüchtlinge und Juden.

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