Die ungeschminkte Wahrheit
In Marokko sind mehr als die Hälfte der Frauen häuslicher Gewalt ausgesetzt / Staatlicher Fernsehsender reagiert – mit Schminktipps
Berlin. Für einen Sturm der Entrüstung sorgte am vergangenen Wochenende der öffentlich-rechtliche Fernsehsender »2M« in Marokko. Im Morgenmagazin des Senders wurden Frauen ausführliche Empfehlungen gegeben, wie Spuren von häuslicher Gewalt durch Make-Up verdeckt werden können. Nach zahlreichen Unmutsbekundungen entschuldigte sich der Sender nun offiziell.
Schminktips gegen häusliche Gewalt
Im täglich ausgestrahlten Format »Sabahiyat« wurde anlässlich des »Internationalen Tags zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen« am 25. November Empfehlungen gegeben, wie Frauen Spuren von Gewalt im Gesicht am besten überschminken können. So sei eine Grundierung mit Gelbtönen geeigneter als eine weiße, sonst: »sind die roten Abdrücke der Schläge immer zu sehen«, so die Moderatorin laut ABC-News. »Wir hoffen diese Schönheits-Tipps helfen ihnen, mit ihrem alltäglichen Leben weiterzumachen«, schloss sie die Sendung.
Es folgte ein Sturm empörter Reaktionen in den sozialen Netzwerken und Stellungnahmen gegen die marokkanische Regierung. »Ich war zutiefst verstört von ihrem Programm, dass nicht nur Gewalt gegen Frauen normalisiert sondern auch noch verherrlicht«, so eine der Reaktionen auf der Facebook-Seite des Senders. In einer von mehreren hundert Frauen unterzeichneten Petition hieß es: »Versucht nicht häusliche Gewalt zu vertuschen, verurteilt die Aggressoren!« Außerdem müsse es eine Entschuldigung vom und Sanktionen gegen den Sender geben.
Häusliche Gewalt weit verbreitet
Aufgrund des anhaltenden Drucks räumte »2M« am Montag dann auch ein, dass die Ausstrahlung ein Fehler gewesen sei. »Wir bitten um Nachsicht und Verständnis«, hieß es in einem auf Facebook veröffentlichten Video. Bereits am Freitag hatte die Senderleitung den Beitrag als »vollkommen unangemessen« bezeichnet und um Entschuldigung gebeten. Viele der Empörten stellten diese Aussagen jedoch nicht zufrieden: »Anstatt leerer Worte, solltet ihr einen wirklichen Beitrag machen und einer Organisation spenden, die mit den Opfern häuslicher Gewalt arbeitet«, so eine Nutzerin auf Facebook.
Gewalt gegen Frauen ist in Marokko nach Angaben von Human Rights Watch (HRW) nach wie vor weit verbreitet. Demnach waren laut einer Studie der Regierung aus den Jahren 2009 und 2010 fast zwei Drittel der Frauen in dem nordafrikanischen Land »körperlichem, psychischem, sexuellem oder wirtschaftlichem Missbrauch« ausgesetzt. Mehr als die Hälfte von ihnen wurde demnach Opfer von häuslicher Gewalt. Erst zu Beginn des Jahres verurteilte die Menschenrechtsorganisation die »lauwarme Antwort« der Regierung auf häusliche Gewalt. Polizei, Justiz und Strafverfolgung würden es sehr oft versäumen, Täter zu bestrafen und die Opfer zu unterstützen. AFP/nd
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.