Kultur ist kein Orchideenthema

Klaus Lederer will als künftiger Senator Gehälter der Leitungen von Volksbühne und Co. offenlegen

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 7 Min.

Die Beteiligung beim Mitgliederentscheid der Linkspartei ist groß. Zuletzt gab es bei einer Basiskonferenz aber auch kritische Stimmen zu den Ergebnissen des Koalitionsvertrages. Haben Sie Bedenken, dass Rot-Rot-Grün abgelehnt wird?
Ich rechne mit einer hohen Beteiligung und mit einem sehr guten Ergebnis. Wir haben den Prozess sehr offen und transparent gehalten - alle waren immer über den Stand gut informiert. Wir hatten eine tolle Verhandlungsgruppe, in die Wissen und Erfahrungen aus der Basis und vielen Initativen eingeflossen sind. Nur deshalb konnten wir so gut verhandeln. Viele unserer Ideen, Ziele und Vorstellungen finden sich im Koalitionsvertrag wieder. Ich bin also gelassen optimistisch - Bedenken habe ich keine.

Einige Mitglieder der LINKEN fordern unter anderem mehr Wohnungen als bisher geplant wurden.
Ich kenne die Skepsis gegenüber dem Regieren aus Teilen meiner Partei, ich kenne auch die maximalen Erwartungshaltungen, die in Maximalforderungen münden.

Konkret an diesem Punkt zeigt sich aber unsere Linie: Wir wollen Baupolitik nicht als Tonnenideologie von Wohnungsbau in der Stadt verstehen, sondern wir wollen, dass Wohnumfeld, die soziale Infrastruktur, die Bildungslandschaft mitwachsen. Und wir wollen, dass das alles sozial-ökologisch passiert. Da kann man jetzt natürlich sagen, 100 000, 200 000, 300 000 - schneller, weiter, höher …. Wichtig waren uns aber realistische Ziele: ein gemeinwohlorientierter Wohnungsbau in Kombination mit städtischen Wohnungsbaugesellschaften, die eine mietpreisdämpfende Preispolitik machen.

Das heißt, beim Wohnungsbau ist die linke Handschrift erkennbar?
Ausdrücklich nicht nur da! Wenn Sie den Vertrag lesen, springt Sie unsere Handschrift förmlich an. Aber ja: Im Bereich Wohn- und Mietenpolitik haben wir tatsächlich einen Paradigmenwechsel hinbekommen. Es ist ein großer Unterschied, ob man möglichst viel öffentlichen Wohnraum für breite Schichten der Bevölkerung vorhält oder ob man Privaten für den Bau und die Subventionierung von Mieten Geld hinterher wirft. Für ersteres ist der Koalitionsvertrag der Startschuss. Für die Umsetzung braucht es weiter den Druck aus der Stadtgesellschaft, den wir im Übrigen bei vielen anderen Punkten auch erwarten.

Aber neu gebaut werden muss doch irgendwo auch, schließlich ziehen jährlich Tausende nach Berlin?
Ich wende mich gegen diese marktökonomische Vorstellung, man könne das Wohnungsproblem lösen, indem man möglichst viel neu baut. Es ist nicht so, dass die Gesetze von Angebot und Nachfrage im Wohnen- und Mietensektor gelten wie im Backwarenhandel. Viel wurde stattdessen gebaut für Renditenerwartungen und spekulative Anlagen.

Sie sprechen - wie bereits im Wahlkampf - sehr engagiert über das Wohnungsproblem. Als Senator hätten Sie sich an die Spitze der Mietenbewegungen in der Stadt stellen können. Warum streben Sie stattdessen das Amt des Kultursenators an?
Mieten und Wohnungsbau waren im Wahlkampf das zentrale Thema. Das zweite war die Funktionsfähigkeit der Stadt. Das dritte die Armutsbekämpfung und das vierte die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. Getreu dem Motto: »Wem gehört die Stadt? - die Stadt gehört euch«. Es geht also um die Frage, in welcher Stadt wir in zehn oder 15 Jahren leben wollen. Deshalb haben wir uns zusammengesetzt, ich bin schließlich Teil eines Teams, so sind wir angetreten - da geht es nicht in erster Linie darum, wer sich welches Amt aussucht.

Das beantwortet die Frage nicht wirklich.
Doch, selbstverständlich! Ich habe erklärt, wie wir arbeiten - nämlich nicht für uns und unser Ego. Ich bin in der Lage, mich zurückzunehmen - meine elf Jahre als Landesvorsitzender in Berlin sind keine Lederer-Jahre. Wir haben viele sehr kompetente Frauen und Männer in der Partei, darum geht es vorrangig.

Für den Bereich Wohnen und Mieten haben wir mit Katrin Lompscher eine ausgewiesene Expertin. Genauso ist es bei Elke Breitenbach, die seit Jahren mit Herzblut im Feld Arbeit und Soziales unterwegs ist. Es geht darum, wie können wir als Fraktion, Partei, und im Senat als eine personelle Gesamtlösung antreten. Aber: Die Nominierung erfolgt erst nach dem Mitgliederentscheid.

Wir wollten eigentlich wissen, warum Sie Kultursenator werden?
OK, dann noch einmal in Kürze: es ging uns darum, dass wir uns breiter aufstellen, um die unterschiedlichen Rollen besser zur Durchsetzung unserer politischen Anliegen zum Tragen zu bringen. Und dann stellt sich die Frage: Welchen Stellenwert hat eigentlich ein Thema wie Kultur in einer Stadt wie Berlin?

Ich glaube, dass Kultur und Kunst zentral für die Verständigung über die Zukunft von Stadtgesellschaft sind. Das geht bis zu kulturellen Grundbedürfnissen, wo wir noch viel zu tun haben, um dafür zu sorgen, dass Museen, Volkshochschulen und Musikschulen allen gleichermaßen offenstehen. Das ist ein Schlüsselthema für die LINKE: Ist Kultur Luxus oder Lebensmittel? Kultur ist im Übrigen auch Arbeit, nicht nur der Kulturgenuss, sondern tatsächlich auch die Produktion von Kultur. Es geht um kulturelle Teilhabe.

Ihr Budget wird begrenzt sein.
Das ist nicht der Punkt. Es geht darum, ob man den Weg von Mindestgagen, Mindesthonoraren fortsetzt, der in Berlin im Übrigen bereits begonnen wurde, oder ob man sagt, die sollen doch froh sein, dass sie ausstellen dürfen. Außerdem haben wir die vielfältige freie Szene mit ihrem hohen Maß an Selbstausbeutung. Dort müssen Menschen sehen, dass sie sich irgendwie durchschlagen, es gibt Künstlerinnen und Künstler, die kaum in der Lage sind, ihren täglichen Lebensunterhalt zu bestreiten, geschweige denn an die Altersvorsorge denken. Ich werde die Frage in den Haushaltsberatungen aufwerfen, was Kultur dieser Stadt eigentlich wert ist. Ist es angemessen, dass sich der Anteil des Kulturetats im unteren einstelligen Bereich bewegt? Oder muss eine Stadt wie Berlin, zu deren Potenzial Kultur eben auch gehört - und damit meine ich jetzt explizit nicht als Vermarktungs- und Tourismusfaktor, das mag ein angenehmer Nebeneffekt sein - nicht eine ganz andere Unterstützung von Kulturschaffenden. Ich will damit deutlich machen: Kultur ist kein Orchideenthema.

Haben Sie deshalb auch kürzlich im Radio erklärt, dass Sie die künftige Volksbühnen-Intendanz von Chris Dercon noch einmal auf den Prüfstand stellen wollen?
Bereits lange vor der Wahl habe ich, wie andere auch, diese Entscheidung kritisiert. Warum sollte ich nun plötzlich, nach der Wahl, das Gegenteil erzählen? Ich habe diesen kulturpolitischen Konflikt nicht verursacht, der ist ja da. Es ist doch eine demokratische Selbstverständlichkeit, dass jemand, der politische Verantwortung übernimmt, sich das, was er vorfindet, zunächst betrachtet, sich auch die Konsequenzen gefällter Entscheidungen vergegenwärtigt. Noch übe ich das Amt ja nicht aus. Und ohne Kenntnis der Einzelheiten, ohne Gespräche mit allen Beteiligten, auch denen, mit denen bisher nicht gesprochen wurde, wäre jede Vorwegnahme einer Entscheidung falsch. Ich erlebe, dass jetzt unfassbar viel und wild spekuliert wird. Dass auch der Versuch unternommen wird, solche kulturpolitischen Streits zu Entscheidungsschlachten hochzujazzen, in denen es Sieger und Besiegte geben muss. Ich glaube, das dient der Sache nicht. Das gilt im Übrigen nicht nur für die Zukunft der Volksbühne, sondern auch für andere Bereiche.

Welche anderen Bereiche sind das?
Die Erwartungen an die Kulturfinanzierung habe ich deutlich gemacht. Wir wollen auch die Gehälter, die Entlohnung, die Bezahlung aus öffentlichen Mitteln für die Leitung großer Kulturinstitutionen offenlegen.

So wie bei den Managergehältern der kommunalen Unternehmen?
Genau. Da gab es gleich den Aufschrei, wir würden eine Neiddebatte lostreten. Das war damals vor zehn Jahren bei der Offenlegung der Vorstandsgehälter bei den öffentlichen Unternehmen genauso. Heute kräht kein Hahn mehr danach.

Derzeit gibt es aber einen medialen Aufruhr, dabei sind Sie noch gar nicht im Amt vereidigt worden.
Das ist richtig. Noch habe ich ja überhaupt nicht begonnen. Sollte es dazu kommen: Ich werde nichts Übereiltes tun. Das heißt: Erst einmal mit allen Beteiligten reden und mir ein Bild verschaffen. Und dann erst steht die Frage, ob vergangene Entscheidungen Bestand haben, oder geändert werden müssen.

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