Der Strukturwandel kann warten
Bundesregierung gibt veranschlagte Gelder für Braunkohleregionen nicht frei - es fehlt ein Konzept dafür
Die Tage der Braunkohleförderung und -verstromung in Deutschland sind gezählt. Auch wenn sich die Bundesregierung noch vor einem Zeitplan drückt - früher oder später kommt der Ausstieg. Da im Osten ausgerechnet strukturschwache Regionen in der Lausitz und in Mitteldeutschland wirtschaftlich stark betroffen sein werden, müsste längst der Strukturwandel eingeleitet sein. Doch das würde kosten: Laut Schätzungen werden jährlich rund 250 Millionen Euro benötigt, um den Umbruch zu unterstützen und sozial abzusichern.
Das können Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt nicht allein stemmen, der Bund ist gefragt. Tatsächlich ist im Haushalt für 2016 im Etat des Energie- und Klimafonds erstmals der Posten »Förderung von Maßnahmen zur Strukturanpassung in Braunkohlebergbauregionen« aufgeführt und mit vier Millionen Euro angesetzt. Dumm nur, dass bisher kein Geld fließt. Im September teilte die Regierung mit, dies liege daran, dass der Klimaschutzplan 2050 noch nicht beschlossen sei. Erst dann werde geprüft, inwieweit etwaige Maßnahmen in das Gesamtkonzept für alle Braunkohlebergbauregionen einbezogen werden könnten.
Die dringend benötigten Hilfen lagen also wegen des monatelangen internen Gerangels einzelner Ministerien quasi auf Eis. Mitte November hat das Kabinett den Klimaschutzplan nun verabschiedet - doch bei diesen Fördermitteln tut sich immer noch nichts: Erforderlich seien »umfassende Vorarbeiten für die Konzeption der Richtlinie zur Ausgestaltung des Programms«, die noch nicht abgeschlossen seien, teilte Wirtschaftsstaatssekretärin Brigitte Zypries in der dem »nd« vorliegenden Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag mit. Zu klären sei, wer bei der Projektförderung antragsberechtigt ist, was gefördert werden soll und wer in den Prozess einzubeziehen ist.
Auch wenn man sich in den vielen Monaten noch gar keine Gedanken über das Programm gemacht hat - um schöne Worte ist die Regierung nicht verlegen: »Ziel ist es, in den betroffenen Regionen konkrete Zukunftsperspektiven zu eröffnen, bevor konkrete Entscheidungen für den schrittweisen Rückzug aus der Braunkohlewirtschaft erfolgen können«, schreibt Zypries. »Dafür bedarf es einer regional- und industriepolitischen Strategie, die den Strukturwandel aktiv gestaltet und die Unternehmen und ihre Arbeitskräfte bei der Anpassung an neue regionale Strukturen unterstützt.« Immerhin an einer Stelle wird sie konkret: Bisher nicht geflossene Mittel werden zum Jahresende nicht verfallen, sondern bleiben zusätzlich zu den bis 2020 vorgesehen weiteren vier Millionen Euro jährlich erhalten.
Die klimapolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Eva Bulling-Schröter, ist trotzdem sauer und erklärt: »wieder ein verlorenes Jahr für den Strukturwandel«. Nicht einmal für diese kleine Summe gebe es einen Verwendungsplan.
Das ist umso problematischer, als sich die Kommunen in der Lausitz in diesem Jahr mit erheblichen Rückzahlungsforderungen Vattenfalls für geleistete Gewerbesteuervorauszahlungen konfrontiert sehen. Der Konzern begründet dies mit Verlusten im Braunkohlegeschäft 2015. Allein auf die Stadt Cottbus kämen laut Medienberichten rund vier Millionen Euro zu. Brandenburgs Finanzminister Christian Görke (LINKE) forderte bereits vom Bund eine Kompensation für die Steuerausfälle. Hier wird Zypries ganz deutlich: »Die angesprochene Kompensationspflicht des Bundes besteht nicht.« Formal ist dies gewiss korrekt, in der Sache aber zumindest ignorant.
Auch bei anderen Summen schiebt die Regierung die Verantwortung weiter: Ab 2017 sollen im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe »Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur« 7,3 Millionen Euro in ein Projekt zur Entwicklung neuer Perspektiven für eine länderübergreifende Regionalentwicklung in der Lausitz fließen. Wann es losgeht, ist laut Bundesregierung ebenfalls völlig unklar: Die Durchführung liege »ausschließlich bei den Ländern«.
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