Ungewisse Zukunftsmusik für die Griechen
Beschäftigte und Gewerkschafter protestieren gegen mögliche Beschneidung ihrer Rechte
»Fabriken in Arbeiterhand« steht auf dem Plakat der selbstverwalteten Fabrik Vio.me, mit dem Demons- tranten am Donnerstag in Athen auf die Straße gingen. Ähnliches fordern auch andere Teilnehmer. Die Diskussion um die Einschränkung von Beschäftigten- und Gewerkschaftsrechten hat in Griechenland zu Protesten und Streiks geführt.
Ende September 2016 hatte eine Expertenkommission ihre Empfehlungen für den griechischen Arbeitsmarkt verkündet. Diese war 2015 eingesetzt worden, die Vertreter wurden zur Hälfte von der griechischen Regierung und zur anderen Hälfte von der Quadriga aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank, dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus bestimmt. Unter anderem waren der Soziologe Gerhard Bosch (Universität Duisburg-Essen) und der Jurist Wolfgang Däubler (Universität Bremen) Teil des Gremiums. Überraschenderweise stärkte der Kommissionsbericht mehrheitlich die Position der griechischen Regierung und der Gewerkschaften. Sie forderten etwa, die 2012 abgeschaffte Tarifautonomie wieder einzuführen, keine Ausnahmen beim Mindestlohn für Unter-24-Jährige zuzulassen und das Streikrecht nicht zu beschneiden.
Allerdings sind fast drei Monate später gerade dies die Streitpunkte zwischen Griechenland und den Geldgebern. Im Abschlussdokument des Eurogruppentreffens vom vergangenen Montag heißt es: »Um das Ziel des Primärüberschusses von 3,5 Prozent des BIP 2018 zu erreichen, sind weitere substanzielle Reformen nötig, um Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit zu fördern. Das beinhaltet substanzielle Reformen des Arbeitsmarktes.« Gefordert wird auch, dass Investitionshemmnisse abgeschafft werden und der neue Privatisierungsfonds HCAP noch vor Ende Januar 2017 tätig wird.
Im Detail verlangen die Gläubiger Gesetzesänderungen, die es erleichtern, Gewerkschaftsmitglieder zu entlassen, und es erschweren, zu Streiks aufzurufen. Der IWF - der nur beratende Institution ist - möchte zudem weitere Rentenkürzungen, die Senkung des Steuerfreibetrages von 8600 Euro auf 5000 Euro sowie neue Sparmaßnahmen auch nach 2018, dem Ende des dritten Memorandums, durchsetzen. Darum übte der Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes, Luca Visentini, scharfe Kritik: »Diese neuen Forderungen nach noch weitergehenden so genannten Reformen sind komplett ideologisch getrieben und ergeben ökonomisch keinerlei Sinn. Sie wären der letzte Sargnagel für die Rechte griechischer Arbeitnehmer.«
Auch Finanzminister Efklidis Tsakalotos rief am Mittwoch die Opposition dazu auf, die Regierung darin zu unterstützen, keine weiteren »Reformen« im Arbeitsrecht zuzulassen. Es gebe etwa Verhandlungen mit den Institutionen darüber, die Tarifverhandlungen wieder einzuführen. Auch wenn der IWF hier hart bleibt, hätten diese, so Tsakalotos, »keine guten Argumente«. Er forderte, die Einigung vom Montag als Gesamtpaket zu betrachten.
Die griechische Regierung verkauft derweil einige Vereinbarungen als Erfolg. So sollen die Laufzeiten der Schulden verlängert und Risiken bei Zinssteigerungen vermindert werden. Dass laufe laut Tsakalotos darauf hinaus, dass Athens Schuldenlast um 20 Prozent verringert werde - allerdings bis 2060. Bis 2040, so rechnete der Finanzminister vor, werde man eine Reduktion von neun Prozent im Verhältnis zum BIP erreichen. Doch auch so würde der Schuldenstand immer noch 171 Prozent des BIP betragen. Solche langfristige Aussagen sind erfahrungsgemäß sehr unsicher. Der IWF und die EU-Kommission hatten sich schon bei kurzfristigeren Vorhersagen geirrt. Beim ersten Memorandum 2010 etwa sagten sie voraus, die griechische Wirtschaft werde 2011 aufgrund »reformbedingter Produktivitätssteigerungen« nur um 1,1 Prozent schrumpfen. In Wirklichkeit gab es ein Minus von 6,7 Prozent.
Auch der Streitpunkt um den Primärüberschuss von 3,5 Prozent des BIP ab 2018 ist laut dem Regierungssprecher noch nicht ausgeräumt. Der Staat brauche das Geld, um Investitionen zu tätigen sowie sozial Schwache zu unterstützen. Laut Eurogruppenkommuniqué soll die 3,5-Prozent-Marke mittelfristig bestehen bleiben.
Vielen Demonstranten erscheinen die Vorhersagen als ungewisse Zukunftsmusik. Sie fordern ihre Rechte zurück, die in den vergangen Krisenjahren deutlich beschnitten wurden.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.