Nahles stören 4.0
Aktivisten protestieren während einer Veranstaltung der Arbeitsministerin
Die Digitalisierung ist in aller Munde. Ob sie nun sehr schlecht oder sehr gut oder gar nichts von beiden ist, dürfte lange noch nicht entschieden sein und doch schreiben sich jetzt alle ein 4.0 auf ihre Fahnen.
So auch Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), die am Donnerstagabend in der Technischen Universität Berlin ihr Weißbuch zur Digitalisierung vorstellte. Zusammen mit dem DGB und der Uni lud das Ministerium zu einer offenen Vorlesung. Unter dem Titel «Herausforderungen der Digitalisierung für eine Gute Arbeitszeitpolitik 4.0» luden Nahles und DGB-Chef Reiner Hoffmann zu einer Diskussion ein.
Doch die Veranstaltung drohte zu keinem Zeitpunkt wirklich kritisch zu werden. Wäre da nicht die Intervention einer 30-köpfigen Gruppe gewesen. Lautstark und mit Transpis bewaffnet störten sie den Auftritt der Ministerin.
Unbemerkt hatten sie in den Reihen der Zuhörer Platz genommen und ihre Chance genutzt, als Nahles ans Mikrofon trat, um sich vor ihrem Redepult in Stellung zu bringen. Teilweise maskiert rollten sie ihr Transparent mit der Aufschrift «Armut 4.0» vor ihr aus und schrieben an die Wandtafel hinter der Ministerin «Gegen rassistische Gesetze der SPD.»
Eine Sprecherin der Aktivisten forderte: «Die Bundesregierung hat im vergangenen halben Jahr unbeachtet von der Öffentlichkeit eine Reform der Sozialgesetzgebung auf den Weg gebracht, die für viele Empfänger*innen von Existenzsicherung und Arbeitslosengeld massive Verschlechterungen bedeuten wird.» Besonders Migrant*innen, Arbeitslose und alleinerziehende würden am meisten unter dieser Reform leiden. Schuld seien das Integrationsgesetz, das Rechtsvereinfachungsgesetz bezüglich Hartz IV sowie das Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen. Applaus kam aus den Reihen der Zuhörer, während Nahles, geschützt von einer Mitarbeiterin, zurück hinter die Sitzbänke verzog.
So plötzlich, wie die Aktivisten aufgetaucht waren, verschwanden sie wieder und verließen fluchtartig den Saal. Ein Angebot von Nahles, doch mit ihr zu diskutieren, wurde durch laute Megaphonsignale ausgeschlagen.
Entrüstet ließ die Ministerin den Schriftzug «Gegen rassistische Gesetze der SPD» von der Tafel entfernen: «Das stimmt einfach nicht.» Und begann ihren Vortrag über die Arbeitszeiten 4.0 in der Digitalisierung. Und so wurde über eine neue Regelung der Teilzeitarbeit geplaudert. Ein 'Arbeitsstundenkonto' solle dafür sorgen, dass jeder die Möglichkeit auf Weiterbildung bekäme. Und um Gewerkschaftsnähe zu zeigen, betonte Nahles wiederholt, dass Ausbildung nicht nur an Schulen und Unis stattfände, sondern auch in Betrieben. Und so waren sich schließlich alle einig, die Digitalisierung sei eine große Herausforderung, aber eben auch eine große Chance und alle seien auf dem richtigen Weg. Die Veranstaltung war kuschelig und kaum kritisch. Allzu einvernehmlich wurde das Gesagte vorgetragen.
Das nicht alle mit den Konzepten der Arbeitsministerin einverstanden waren und dies auch gerne geäußert hätten, wurde offenbar gezielt in den Diskussionsrunden, bei denen Gäste befragt wurden, übersehen. Aktivisten, die den Raum nicht verlassen hatten und sich der Diskussion gerne gestellt hätten, wurden übersehen.
So etwa die Aktivistin Hannah Eberle, die gerne der Einladung der Arbeitsministerin zur Diskussion gefolgt wäre, zeigte sich enttäuscht: «Ich glaube, es als Schwachsinn abzutun, wenn wir über das Menschenleben von Geflüchteten reden, wenn wir über spanische, griechische Migranten reden, die hierherkommen, weil sie von Austeritätspolitik gebeutelt sind, hierherkommen. um zu arbeiten und jetzt von den Sozialgesetzen ausgeschlossen werden. Wenn sie das als Schwachsinn abtut und nicht weiter darauf eingeht. Dann frage ich mich, wer an dieser Stelle nicht zu einer Diskussion bereit ist. jab
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.