Dringende Störung der Totenruhe

Ein 2008 erschossener »Spinner« könnte mit dem NSU zu tun gehabt haben, der Generalbundesanwalt aber schweigt

  • René Heilig
  • Lesedauer: 5 Min.

Michael Krause starb mit 53 Jahren. Er hat sich offenbar selbst gerichtet. Das war am 25. Mai 2008 in Bayreuth. Dort hatte er sich an der Allee Richtung Bindlach an einem Fahrrad zu schaffen gemacht. Zwei Polizisten hielten das für verdächtig, wollten Krause kontrollieren. Krause widersetzte sich, zog eine Pistole, schoss, verletzte einen Beamten. Dessen Kollege feuerte zurück, traf sechsmal. Von vorne. Dennoch: Krause konnte weglaufen - um sich kurz darauf selbst das Leben zu nehmen.

Krause stammt aus Berlin, hat Betonbauer gelernt, war in seinen letzten zwei Jahrzehnten aber 25 mal umgezogen und ab 2005 angeblich obdachlos. Er sei ein »Spinner«, ein isolierter Einzeltäter mit psychischen Problemen gewesen, hieß es. Mag sein, doch Krause war mehr. In seinem Rucksack fand man Schwarzpulver, gefüllte Magazine für die Walther-PPK-Pistole, einen selbst gebauten Schussapparat und 38 handgezeichnete Landkarten. Darauf war - verschlüsselt - die Lage von Erddepots bezeichnet. Im Klartext dagegen las man das Inventarverzeichnis: Handgranaten, Sprengstoff, Bomben, Zünder, Schusswaffen ... Dazu gab es eine »Feindliste«.

Nur durch Zufall konnte man den Code knacken und Krauses Magazine leeren. Die meisten Verstecke gab es in Bayerns Wäldern, andere wurden in Sachsen, Thüringen und Brandenburg entdeckt. Drei Depots lagen sogar in Österreich. Im Jahr 2009 »konnten 30 Depots lokalisiert werden. Zwei Depots hatte M. K. selbst bereits aufgelöst, fünf weitere wurden bis heute nicht aufgefunden«, erklärte die Bundesregierung im April 2014 auf eine Anfrage der Linksabgeordneten Martina Renner.

Die Ermittler im Bayern hatten zunächst nicht an einen Fall von Terrorismus geglaubt. Was aber sonst trieb den Mann? Seine aus verschraubten Rohren, aus Feuerlöscherbehältern oder Gasflaschen hergestellten Bomben waren zum Teil mit selbst gemischtem Sprengstoff befüllt und in allen Fällen funktionsfähig. Sie hätten einen verheerende Wirkung gehabt. Wie konnte Krause so etwas bauen, er hatte keine militärische Ausbildung, war mittellos und angeblich ein Einzelgänger.

Im Archiv der Stasi-Unterlagenbehörde findet sich zudem eine Karteikarte, in der er als Mitglied der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten gelistet wird. Wie es scheint, war Krauses rechtsextreme Gesinnung mehr als eine spontane Idee.

Das für Krause tödliche Duell in Bayreuth war nicht das erste Zusammentreffen mit der Polizei. Im August 2001 hatte er in Hildesheim einen Mann als »Neger« tituliert und eine scharfe Ceská-Pistole gezogen. Es folgte eine kurzfristige Einweisung in die Psychiatrie. Im Dezember 2006 kontrollierte man Krause in Wels. Er war sehr aggressiv und führte eine CO2-Pistole mit Stahlkugeln, Messer und eine Axt bei sich, weiß man bei der Staatsanwaltschaft in Bayreuth. Wels liegt in Österreich. Man erinnert sich an allerlei rechtsextremistische Aktivitäten in dem Gebiet, vor allem an das »Objekt 21«, das österreichische und Thüringer Neonazis mit der Organisierten Kriminalität verband. Zahlreiche Treffen von Blood & Honour-Kadern sind in dem Gebiet registriert worden. Das alles muss gar nichts mit Krause zu tun haben, der laut Antwort auf eine Anfrage im Wiener Nationalrat vom Januar 2012, »in Wels nächst der Hessenkaserne und nördlich des Spar-Zentrallagers« Depots unterhielt.

Nachdem die Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) im November 2011 aufgeflogen war, erinnerte man sich - auch mehrfach im »nd« - an Krause. Und an dessen Auftritt in der Kfz-Zulassungsstelle im sächsischen Plauen. Es ging um eine Verwaltungsgebühr in Höhe von 5,60 Euro. In Plauen hatte er seinen angeblich letzten bekannten Wohnsitz und opponierte laut Ermittlungen des Staatsschutzes gegen den »Scheiß-Staat!« indem er »Heil-Hitler«-Gebrüll ausstieß.

Die Entfernung zwischen Plauen und Zwickau, wohin das mutmaßliche zehnfache NSU-Mördertrio Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe abgetaucht war, beträgt 40 Kilometer. Auffällig war, dass Krauses Bomben durchaus jener ähnelte, die Böhnhardt und Mundlos in der Kölner Keupstraße zur Explosion brachten. Auch im Polizeipräsidium Oberfranken fragte man sich 2011 besorgt, ob Krause womöglich ein Waffen- und Bombenlieferant der sogenannten Zwickauer Terrorzelle gewesen sein könnte.

Zugegeben, eine dünne Spur, doch, so die Polizei damals gegenüber »nd«: »Aufgrund der neuen Erkenntnisse zu dem Personenkreis der Zwickauer Zelle wird der Fall Krause hinsichtlich der Waffen- und Sprengstofffunde nochmals überprüft.« Über die Ergebnisse dieser Recherchen erhielt man jedoch keine Auskunft, denn: Der Generalbundesanwalt hat das Verfahren an sich gezogen.

Mehrere Nachfragen in Karlsruhe ergaben nichts - und dann die Antwort des zuständigen Sprechers: »Wir haben den Fall nicht übernommen.« Was man bei der Staatsanwaltschaft in Bayreuth und der dortigen Polizei nicht glauben wollte. Und bis heute nicht glauben will. Als »nd« vor einigen Wochen im Zusammenhang mit Gerüchten über eine mögliche Verbindung zwischen dem NSU und der ermordeten Schülerin Peggy K. nochmals nach Krause fragte, erklärte die Staatsanwaltschaft in Bayreuth, dass es »im damals hier geführten Verfahren ... keine Unterlagen über Erddepots« gebe. Daher habe man auch keine Gegenstände aus Erddepots asserviert. Etwas entrüstet ob der journalistischen Hartnäckigkeit fügte man hinzu: »Wie die weitere Recherche beim Polizeipräsidium Oberfranken ergeben hat, ist Ihnen dort bereits am 05.03.2012 mitgeteilt worden, dass bei der Bundesanwaltschaft ein solches Verfahren geführt werde. Auskunft darüber gibt ausschließlich die Bundesanwaltschaft.«

Umgehend schickte das »nd« - abermals schriftlich formuliert - Fragen an die Bundesanwaltschaft, doch seit einem Monat herrscht dort nur Schweigen. Das erklärt sich möglicherweise aus einem am Freitag veröffentlichten Bericht im »Spiegel«. Ein bayerischer Ermittler habe behauptet, dass mutmaßliche DNA-Spuren von Krause »bereits vor Jahren« auf dem Unterhemd von Enver Simsek entdeckt worden waren. Der Blumenhändler Simsek war das vermutlich erste Mordopfer des NSU, das mutmaßliche letzte Opfer war die Polizistin Michèle Kiesewetter. Sie starb 2007, ein Jahr bevor Krause starb. Noch immer ist es rätselhaft, warum der NSU eine Polizistin ermordete und warum die Mordserie des NSU nach dieser Attacke in Heilbronn endet.

Angeblich lassen sich die DNA-Spuren an Simseks Unterhemd mit einer Wahrscheinlichkeit von circa 1: 190 000 Michael Krause zuordnen. Dennoch ist Vorsicht angeraten, denn es gibt - siehe »Fall Peggy« - viele Möglichkeiten, wie DNA übertragen werden kann. Doch angeblich sei längst alles überprüft. Das jedenfalls geht aus der Antwort der Bundesregierung an die Bundestagsabgeordnete Martina Renner hervor: »Bereits im September 2009 hatte die SoKo Bosporus die DNA von M. K. mit dem Gesamtbestand der zu allen ›Ceska-Morden‹ vorliegenden DNA und die bei M. K. und in den Depots sichergestellte Munition mit der Munition, die von den Tätern der ›Ceska-Morde‹ verwendet wurde, abgeglichen. Übereinstimmungen wurden nicht festgestellt.«

Log die Bundesregierung, oder wurde sie selbst belogen? Und was verheimlicht der Generalbundesanwalt oder wer legt eine falsche Spur?

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