Vielleicht doch kein Verrat?

Anne Frank

  • Lesedauer: 3 Min.

Die Verhaftung des jüdischen Mädchens Anne Frank (15) in Amsterdam durch den deutschen »Sicherheitsdienst« im August 1944 beruhte möglicherweise doch nicht auf einem Verrat des Verstecks. Dies geht aus einem Bericht der Anne Frank-Stiftung hervor, der am Samstag in Amsterdam veröffentlicht wurde. Darin heißt es, das Mädchen und sieben weitere Untergetauchte könnten den Deutschen und deren niederländischen Helfern auch bei der Suche nach illegalen Arbeitern und Herstellern gefälschter Lebensmittelkarten in die Hände gefallen sein. »Unsere Untersuchung widerlegt einen möglichen Verrat nicht, zeigt aber, dass auch andere Möglichkeiten untersucht werden sollten«, sagte Stiftungsdirektor Ronald Leopold.

Anne Frank lebte mit ihrer Familie von 1942 bis 1944 im Hinterhaus an der Amsterdamer Prinsengracht 263 im Versteck vor den Nationalsozialisten und schrieb dort auch das weltberühmte Tagebuch. Die insgesamt acht Untergetauchten wurden 1944 verraten und in Konzentrationslager deportiert. Anne starb im Frühjahr 1945 im Alter von 15 Jahren in Bergen-Belsen.

Mit dem Bericht relativiert die Stiftung die bisher gängige Geschichtsschreibung, wonach der »Sicherheitsdienst« (SD) kurz vor der Durchsuchung des Hauses an der Prinsengracht 263 einen anonymen Anruf des Verräters erhalten habe. Auch Anne Franks Vater Otto Frank, der einzige Überlebende der acht Menschen im Versteck hinter einem beweglichen Bücherregal, war stets überzeugt, verraten worden zu sein. »Trotz jahrzehntelanger Forschung« und diverser Beschuldigter habe es aber »keinen endgültig Beweis gegeben«, schreibt die Stiftung jetzt.

Keiner der bekannten drei SD-Leute bei der Entdeckung des Verstecks - ein Österreicher und zwei langjährige niederländische Polizisten - sei zum fraglichen Zeitpunkt schwerpunktmäßig mit dem Aufspüren untergetauchter Juden befasst gewesen, so der Bericht. Sie hätten sich vielmehr vor allem mit Wirtschaftsvergehen befasst, unter anderem mit der Fälschung von Lebensmittelkarten. Anne Frank habe in ihrem Tagebuch im März 1944 die Festnahme von zwei Männern wegen gefälschter Lebensmittelkarten, von denen auch die Untergetauchten profitierten, erwähnt. Beide arbeiteten in einer Firma, die ebenfalls in der Prinsengracht 263 ansässig war. Es sei durchaus möglich, dass die Hausdurchsuchung vom 4. August 1944 damit zu tun gehabt habe. Zudem seien die SD-Leute etwa zwei Stunden im Haus gewesen, mehrere Personen hätten während dieser Zeit das Haus betreten und verlassen können: »Wenn die Beamten gekommen wären, um Untergetauchte zu verhaften, wäre das wohl kaum möglich gewesen«, heißt es in dem Bericht.

In dem Haus in Amsterdam »ging mehr vor als nur das Sich-Verstecken von Menschen«, heißt es in dem Bericht der Anne Frank-Stiftung. »Vielleicht haben die Behörden die Prinsengracht 263 aus anderen Gründen durchsucht.« Jedenfalls sei »das letzte Wort über diesen schicksalhaften Sommertag 1944 noch nicht gesprochen«. dpa/nd

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