Moskau sieht sich im Anti-Terror-Kampf bestätigt
Putin: Werden künftig noch enger zusammenstehen und an tragende Rolle bei Vermittlung in Aleppo anknüpfen
Fünf oder sechs Schüsse eines Polizisten haben am Montagabend Moskaus Botschafter in der Türkei, Andrej Karlow, niedergestreckt. Es war am Dienstag in der Moskauer Öffentlichkeit das außenpolitische Thema Nummer 1, über das alle Zeitungen und Kanäle berichten.
Im russischen Kulturzentrum in Ankara hatte Karlow gerade eine Fotoausstellung eröffnet. Die russischen Medien melden, dass der Attentäter durch türkische Sicherheitskräfte »liquidiert« worden sei. Die Hiobsbotschaft hatte das Moskauer Außenamt beim traditionellen Empfang zum Jahresausklang erreicht. Dort hieß es von Anfang an, man gehe von einem Terroranschlag aus. Damit, so Außenamtssprecherin Maria Sacharowa, werde sich auf Antrag Moskaus auch der UN-Sicherheitsrat befassen.
Wichtig, so Konstantin Kossatschow, der Chef des Außenpolitischen Ausschusses im Senat, sei jetzt, die Drahtzieher des Anschlags zu finden. Ankara müsse zudem »maximale Anstrengungen« unternehmen, um die Hintergründe aufzuklären, Russland mehr für den Schutz seiner Einrichtungen und seiner Bürger in der Türkei tun.
Dass der Anschlag auch in Westeuropa und den USA verurteilt wurde, wird in Moskau ausführlich wiedergegeben. Russische Online-Medien zitierten den designierten US-Präsidenten Donald Trump mit den Worten, die Ermordung eines Botschafters sei eine Verletzung aller Normen der zivilisierten Welt und verdiene allgemeine Verurteilung.
Staatspräsident Wladimir Putin nannte den Anschlag eine »abscheuliche Tat«. Sie mache einmal mehr die Notwendigkeit klar, im Kampf gegen den Terrorismus noch fester zusammenzustehen. Politische Beobachter erklären die tödlichen Schüsse vor allem mit der von Moskau forcierten Terrorismusbekämpfung und der Annäherung zwischen Russland und der Türkei. Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu sagte dazu in Moskau: »Wir verstehen, dass solche Taten im Zusammenhang mit unserem Kampf gegen den internationalen Terrorismus stehen.«
Putin und sein türkischer Amtskollege Recep Tayyip Erdogan hatten nach dessen Entschuldigung für den Abschuss einer russischen Militärmaschine im November 2015 im August den Neustart der Beziehungen beschlossen. International massiv unter Druck - Erdogan wegen Massenverfolgungen nach dem missglückten Putsch im Juli, Putin wegen der Entwicklungen in der Ukraine und zunehmend auch in Syrien - hatten beide Politiker eine umfangreiche Wirtschaftskooperation vereinbart und auch Bereitschaft zu politischer Zusammenarbeit signalisiert. Auch zu Syrien. Gemeinsam spielten Russland und die Türkei eine tragende Rolle bei der Vermittlung des jüngsten Waffenstillstands in Aleppo. Ankara ruderte auch bei Forderungen nach sofortigem Rücktritt des syrischen Staatspräsidenten Baschar al-Assad zurück. Moskau unterstützt ihn militärisch, sieht ihn ungeachtet dessen vermutlich nur als Stabilisierungsfaktor während einer Übergangsperiode.
Der Anschlag auf den russischen Botschafter, so Leonid Sluzki, der Vorsitzende des Außenpolitischen Duma-Ausschusses, werde keine neue Eiszeit im russisch-türkischen Verhältnis auslösen. Ähnlich sahen das auch die Leitartikler überregionaler russischer Zeitungen. Die Fakten haben sie dabei auf ihrer Seite.
Moskau sagte den gestrigen Dreiergipfel der Außenminister Russlands, der Türkei und Irans - Sergej Lawrow, Mevlut Çavuşoglu und Mohammad Dschawad Sarif - nicht ab, den die Diplomaten bei einem Telefonat am Wochenende vereinbart hatten. Kurz zuvor hatten sich Erdogan und Putin über ein neues Format bei den innersyrischen Friedensgesprächen verständigt. In das Projekt, das neben humanitären Missionen auch gemeinsame Vermittlungen bei Verhandlungen zwischen Assad und dessen Gegnern vorsieht, soll auch Kasachstan einbezogen werden. Dessen Präsident Nursultan Nasarbajew sagte bereits zu und bot Kasachstans Hauptstadt Astana als Verhandlungsort an.
Moskau legt Wert auf die Feststellung, dass Konsultationen in Astana die Syrien-Verhandlungen in der Schweiz nicht torpedieren, sondern flankieren und aus der Sackgasse führen sollen. Erster Schritt müsse eine von den Konfliktparteien selbst ausgehandelte Waffenruhe sein. Dadurch würden die Chancen ihrer Einhaltung erheblich steigen.
Kasachstan, so Wassili Kusnezow vom Orientalistikinstitut der Russischen Akademie der Wissenschaften, habe gleich gute Beziehungen zu Ankara und Moskau, normale zu Iran, gute Kontakte zu gemäßigten Gruppierungen von Assads Gegnern und keine eigenen Interessen in Syrien. Unklar ist noch, welche Gruppen der syrischen Opposition mit der Regierung verhandeln wollen. Auch droht Sperrfeuer gegen Russlands Vorstellungen von Seiten Saudi-Arabiens.
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